Wirtschaftliches Wachstum garantiert keine Vollbeschäftigung mehr. Kurzarbeit, Zeitverträge und Niedriglöhne werden zur Regel. Die Arbeitswelt ist in einem gewaltigen Wandel und der Sozialstaat stößt an seine Grenzen.
Die Sehnsucht nach einer tiefgreifenden Reform ist stark und die Bewegung für ein bedingungsloses Grundeinkommen wächst. Geld vom Staat für jeden, egal, ob bedürftig oder nicht, bedingungslos? Das Modell einer existenzsichernden Grundversorgung hat prominente Fürsprecher gefunden und wird quer durch die politischen Parteien diskutiert. “Was würden Sie arbeiten, wenn für Ihr Einkommen gesorgt wäre?”, fragen die Befürworter gemeinhin provokant. An gesellschaftlich notwendiger Arbeit mangelt es tatsächlich nicht, ob in der Bildung, Betreuung oder Pflege - aber würden wir sie tatsächlich anpacken? Oder uns lieber auf die faule Haut legen, wie es die Gegner behaupten? Und wäre das Grundeinkommen eigentlich zu finanzieren?
Mittwoch, 7. März 2012
Federland
oder: Der Sechzehnkindermann
von Irmgard Maenner
Mein Großvater war Druckereibesitzer und Verleger, er hatte 16 Kinder,
14 von der ersten Frau und zwei von der zweiten. Es ist ihm gelungen,
sich aus Armut hochzuarbeiten und zu bilden. Drei Mal in seinem Leben
hat er sich eine neue Existenz geschaffen.
Im Mai 1948 hat er Wahlen gewonnen: Er ist erster Bürger der Stadt.
Frühaufsteher. Am Morgen des 10. Oktober 1948 steigt er die Holztreppe
zum Papierkeller der Druckerei hinab und erhängt sich. Was ist
passiert? Zeitzeugen, Archivfunde, Briefwechsel, persönliche Aufzeichnungen
erzählen von Liebe in schwierigen Zeiten, politischen Intrigen,
Gewalt und der Wandlung von Werten.
Irmgard Maenners Recherche führt ins Innere einer patriarchalisch
geführten Familie und in die Nachkriegswirren einer Grenzregion.
Mittwoch, 4. April 2012
Familienbande
von Detlef Michelers
»Libanesische Kurden« in Deutschland: Sie kamen als Bürgerkriegsflüchtlinge
in den 80-er Jahren aus dem Libanon und suchten ein
besseres Leben in Schweden, Holland und Deutschland. Ihre ursprüngliche
Heimat im Dreiländereck Türkei, Syrien und Irak hatten sie in
den 40-er Jahren verlassen, um im Libanon, der »Schweiz des Orients«,
ihr Glück zu suchen. Marginalisiert, geduldet und ohne berufliche
Qualifikation, sicherte die hierarchische Struktur der Großfamilie ihr
Überleben.
Vor allem in Berlin, aber auch in Bremen und im Ruhrgebiet finden
sich Strukturen organisierter Kriminalität. Familien mit acht Kindern
sind keine Seltenheit. Verwaltung, Politik und Polizei setzen auf die
junge Generation, in der erste Anzeichen einer Annäherung zwischen
den etwa 15.000 bis 20.000 libanesischen Kurden und der deutschen
Gesellschaft ablesbar sind.
Detlef Michelers sprach mit Familienmitgliedern, Vertretern der
Behörden und Institutionen und durfte an einer Hochzeit teilnehmen.
Mittwoch, 2. Mai 2012
Erste Garnitur Blau
Männer, Mächte und das Meer
von Regina Leßner
Seefahrt: Vorstellungen von fernen Ländern, weiten Meeren, von
Romantik und Abenteuern tollkühner Männer. Doch wie sieht das
Leben von Seefahrern tatsächlich aus? Vor allem von Seeleuten
in militärischen Einheiten? Von diesem weitgehend unbekannten
Seemannsleben erzählen in dem Feature deutsche Marineseefahrer.
Sie machen die in sich geschlossene Welt der Seeleute zugänglich. In
ernsten und kuriosen Anekdoten wird die Geschichte der Bundes- und
der Volksmarine erzählt. Kalter Krieg auf dem Meer, wobei alle auf
allen Schiffen – Ost oder West – eigentlich nur Seemann sein wollen.
Einer von ihnen trat 1942 als Offiziersanwärter in Hitlers Kriegsmarine
ein und rückte zum Vizeadmiral und Befehlshaber der Flotte auf.
Ein anderer wurde Admiral der Volksmarine und zur eigenen Überraschung
noch 1989 letzter Verteidigungsminister der DDR und Chef
der NVA. Über 70 Jahre spannt sich der Bogen. Bis zum Oberstabsbootsmann,
der bis heute zur Besatzung des größten Kriegsschiffs der
Deutschen Marine gehört, des Einsatztruppenversorgers Berlin.
Mittwoch, 6. Juni 2012
Kleinstadt der Engel
Bürger wehren sich zaghaft gegen Rocker
von Michael Weisfeld
Ein führendes Mitglied der Hells Angels besitzt Bordelle, einen Schönheitssalon,
ein Fitnesszentrum, eine Bowlingbahn, eine Sicherheitsfirma.
Sein kleines Firmenimperium hat ihn reich gemacht und mit
seinem Geld tut er Gutes in Walsrode: Er unterstützt den Weihnachtsmarkt,
den Open-Air-Auftritt von Schlagersängern und hilft Vereinen
aus der finanziellen Klemme. Er finanziert den Wahlkampf eines
Bürgermeisterkandidaten. Stadtrat und Kaufmannschaft respektieren
ihn als erfolgreichen Geschäftsmann. Doch er hat nicht nur Freunde in
der Stadt.
Manche Bürger fühlen sich von seinen glatzköpfigen Sicherheitsleuten
bedroht, ein Klima der Angst herrsche in der Stadt, sagen sie, niemand
wage, den Hells Angels und ihren Unterstützern in die Quere zu kommen.
Im vergangenen Jahr kam Widerstand auf. Eine Initiative der
Grünen im Stadtrat blieb mangels Unterstützung der anderen Fraktionen
stecken. Doch dann engagierten sich auch Menschen außerhalb der Gremien.
Mittwoch, 5. September 2012
Du und Ich und Er
Neuneinhalb Jahre mit Alzheimer
Gordian Maugg und Alexander Häusser
“Heute Nacht hatte ich große Angst, weil ich deinen Namen nicht
mehr kannte, wenn ich dich rufen wollte”, schreibt Monika Liebe in
ihrem Tagebuch. Sie schauen auf ein glückliches Leben zurück: Monika
und Sieghart Liebe sind einander seit Jahrzehnten in großer Liebe verbunden.
Doch da trifft die beiden ein unvermuteter Schicksalsschlag.
Monika ist noch keine Fünfzig, als bei ihr Alzheimer diagnostiziert wird.
Ein langer, quälender Abschied beginnt, den Sieghart mit Hilfe von
Fotos und Videofilmen festzuhalten versucht. Die Jahre, die ihm ab
jetzt mit Monika bleiben, muss er mit »ihm«, dem Alzheimer, teilen.
Die Krankheit ist der Rivale in einem Kampf, bei dem Sieghart unweigerlich
unterliegt.
Mittwoch,
Mittwoch, 3. Oktober 2012
Mein Vater und das liebe Vieh
Milchbauern zwischen Tradition und Globalisierung
Julia Schäfer
Die EU gibt rund 50 Milliarden Euro jährlich für die Landwirtschaft
aus, doch das Sterben der Höfe geht weiter. Jungen Bauern wird das
Prinzip »wachsen oder weichen« schon in der Ausbildung vermittelt.
Sie sollen expandieren und investieren, sich am Weltmarkt orientieren.
Doch nicht jeder will sich dem Druck von Industrie, Wirtschaft und
Politik beugen.
Was unternehmen Landwirte, um ihre Familienbetriebe zu halten?
Auch der Vater der Autorin ist Milchbauer. Im Alter von 76 Jahren will
er sich aber immer noch nicht von Viehzucht und Stallarbeit trennen.
Ratschläge seiner Frau oder Politikerphrasen wie »Gewinnmaximierung
« stoßen bei ihm auf taube Ohren. Aber was wird aus dem unrentablen
Betrieb ohne Nachfolger? Keines der Kinder will den Hof übernehmen,
auch die Autorin nicht.
Mittwoch, 7. November 2012
Verteidigung des Zölibats
Fragmente zu den Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche
Michael Lissek
Seit dem Bekanntwerden von Missbrauchsfällen in der katholischen
Kirche wird der Zölibat wieder einmal vehement diskutiert. Der Konsens
sagt: Das ehelose und enthaltsame Leben der Priester und
Ordensleute trägt Mitschuld an den zahllosen Missbräuchen – würde
der Zölibat abgeschafft, komme es zu weniger sexuellen Übergriffen.
Mithilfe von Gesprächen mit Bischöfen, Leitern von Priesterseminaren,
einem Forensiker und einem Psychologen entwirft Michael Lissek
ein anderes Bild und fragt: Was sind das für Männer, die sich dafür
entscheiden, zölibatär zu leben? Wovon reden wir, wenn wir von den
»schrecklichen Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche« sprechen?
Welche Zahlen liegen vor?
Und könnte der Zölibat nicht auch ganz anderes gedacht werden:
zum Beispiel als religiöse Ekstase-Technik? Eventuell gelangt man zu
einer ganz anderen These als der üblichen: Der Zölibat ist ein Weg für
diejenigen, die für sich in sexueller Hinsicht kein gesellschaftliches
Modell vorfinden – und verhindert vielleicht sogar Missbräuche.
Mittwoch, 5. Dezember 2012
Die Sau rausgelassen
oder Das Schwein ist auch nur ein Mensch
Günter Beyer
»Nochmal Schwein gehabt« heißt es, wenn eine riskante Sache noch
einmal gut ausgeht. Bedenkenlos vertrauen wir dem Porzellanschwein
unser Erspartes an. Aber die Sauereien eines skrupellosen
Zeitgenossen empören uns ebenso wie die Ferkeleien eines unappetitlichen
Essers. Kein anderes Tier zieht so gegensätzliche Projektionen
auf sich wie das Schwein. Während Juden und Moslems es als unrein
verachten, preist der hessische Landgasthof seine Schlachtplatte als
»saulecker« an.
In China zelebriert man ihm zu Ehren das Jahr des Schweins. Im
Schweinsgalopp rast das Tier durch populäre Mythen, durch Literatur,
Kunst und Film. Die Zauberin Kirke verwandelt die Gefährten des
Odysseus in lächerliche, quiekende Schweine, während in George
Orwells antikommunistischer Satire »Animal Farm« das Schwein zum
Träger politischer Schreckensvisionen avanciert: Der Eber Napoleon
schwingt sich zum schweinischen Diktator auf. Auf der Leinwand wurden
Schweinchen Babe, Rudi Rüssel und Miss Piggy zu Medienstars.