Seit mein Liebster gestorben ist, ist der Alte St. Matthäusfriedhof in Berlin Schöneberg mein zweiter Wohnsitz geworden, so etwas wie mein persönliches “Second life” mit aufwühlenden, erstaunlichen Begegnungen und lebendigem Austausch zwischen Lebenden und Toten.
Allgegenwärtig Bernd Bossmann, Polit-Tunte, Krankenpfleger, Schauspieler und Chef des Friedhofcafés, der vom Tod als “Silvester des Lebens”, als dessen absolutem Höhepunkt überzeugt ist. Dazu Gabriele, die um ihren Sohn seit mehr als 10 Jahren im Internet trauert, täglich. Kathrin, die ganz bewusst ein schwerst behindertes Kind austrug, das nun im “Garten der Sternenkinder” liegt. Oder Feodora, die MS-Kranke, die sich auf nichts so sehr freut, als darauf, endlich tot zu sein.
“Wer die Menschen das Sterben lehrt, der lehrt sie das Leben”, sagte Michel de Montaigne, der erste Denker der Neuzeit, der ohne Jenseits auskam. Denn sich mit dem Tod zu beschäftigen, sein Leben vom Ende her zu denken, das ist der Kern vieler Weisheitslehren für ein erfülltes Leben. Denn ums Leben geht es. Gerade auf dem Friedhof.
Das Feature erhielt den Robert-Geisendörfer-Preis 2012.
Karla Krause
hat ihr berufliches Leben “irgendwas mit Medien” gemacht: als Radio-, Fernseh- und Buchautorin, als TV-Redakteurin und Filmproduzentin. Sie erzählt dokumentarische Radio-Geschichten, viele wurden ausgezeichnet.
Dr. Gaby Mayr
Mittwoch, 6. März 2013
Die Spur der Keime
Gaby Mayr
2011 starben im Klinikum Bremen-Mitte drei Frühgeborene an einer
bakteriellen Infektion. In ihrem Feature untersucht Gaby Mayr Ursachen
und Hintergründe der Todesfälle. Allgemeine Erklärungsmuster wie
»Sparmaßnahmen« im Gesundheitswesen und die »Überlastung des Klinikpersonals
«, so das Ergebnis der Recherchen, greifen zu kurz..
Die Autorin erhielt Informationen aus der Klinik und sie sprach mit Eltern,
deren Säuglinge auf Station 4027 lagen. Demnach war bereits vor den
bekannten Todesfällen ein anderer Keim auf der betroffenen Station, auf
der benachbarten Mütterstation starb eine Frau. Das Gesundheitsamt
stellte erhebliche Hygienemängel fest. Ein Augenzeuge beobachtete eklatante
Hygienefehler.
Dabei hatte sich die Klinik kurz zuvor erst im Konkurrenzkampf um die
Versorgung sehr kleiner Frühgeborener gegen andere Krankenhäuser
durchgesetzt. Nun sollte der hoch gelobte Chefarzt ein Hygienedesaster
eingestehen …
Dr. Gaby Mayr,
geboren 1954, hat Wirtschaftswissenschaften studiert.
Sie arbeitet als freie Journalistin für Radio und
Printmedien. Schwerpunkte sind »Machtfragen« und
»Afrika«. Sie hat mehrere Journalistenpreise erhalten.
Mechthild MüserJens Schellhass
Mittwoch, 3. April 2013
Lange Hörkino-Nacht
Wir feiern den achten Hörkino-Geburtstag und die Verleihung des Feature-Preises bremer hörkino
Zum vierten Mal wird der »Feature-Preis bremer hörkino« verliehen.
Zum vierten Mal wird der »Feature-Preis bremer hörkino« verliehen.
Damit möchten Beate Hoffmann und Charly Kowalczyk Autorinnen und
Autoren aus Bremen und Niedersachsen auszeichnen und ermutigen:
auch in Zeiten, in denen der Wortanteil und aufwändig recherchierte
Geschichten weniger werden, interessante Hör-Stücke zu produzieren.
Der Preis und die Skulptur »Rüdi hört« vom Berliner Künstler Zoppe
Voskuhl geht dieses Jahr an Mechthild Müser für ihr Stück »Welcome to
the City of Jezevac – Mädchen in einem bosnischen Flüchtlingslager« und
an Jens Schellhass für »Ein bisschen mehr als Gotteslohn – Arbeitsbedingungen
im kirchlichen Sozialsektor.« Eine lobende Anerkennung erhalten
die Fachjournalistik-Studenten der Bremer Hochschule Nasir Mahmood
und Panajotis Gavrilis für das Stück »Gekommen, um zu leben – ein
Feature über Asylsuchende in Deutschland«.
Der Feature-Preises bremer hörkino
wird gestiftet von swb
und den Initiatoren des hörkinos
unterstützt von:
»Hörsturz« – Interessengemeinschaft
für Bremer Radiokultur.
Wir danken der Jury:
Torsten Jantschek
Redakteur bei Radio Bremen
»Wissenschaft, Religion und Gesellschaft«
Brigitte Kirilow
Feature-Redakteurin, Deutschlandradio Kultur
Annette Ruppelt
Pressesprecherin Bremer Shakespeare Company
Wir feiern mit Sekt, Selters und präsentieren die Preisträger-Features.
Nein, niemand kommt sie je dort besuchen, die Mädchen von Jezevac,
keine Schulfreundinnen, keine jungen Männer. Dabei würden sie sich
freuen und im Übermut hatte eine gerufen: »Welcome to the City of
Jezevac.« Welcome in dieser Ansammlung kleiner Häuser, schnell
hingeworfen auf die ebene Fläche zwischen dem braunen Oskova-Fluss
und der Straße, die zur Kohlen-Abraumhalde führt.
Die einzigen Besucher gehören zu einer Hilfsorganisation. Sie kümmern
sich um die Übriggebliebenen, um die Traumatisierten, denen das
Massaker von Srebrenica auf der Seele liegt. Sie kümmern sich um die
Mädchen, die so frisch sind in ihrer Pubertät, die sich um die besten
T-Shirts aus Kleidersammlungen prügeln und einmal ganz anders leben
möchten als ihre Mütter. Berufe lernen, in der Stadt wohnen, aber welche
Chance haben sie schon?
Das ruft seit Kurzem noch andere Besucher auf den Plan: Männer mit
prall gefüllten Taschen, die die Mädchen umgarnen, ihnen ein besseres
Leben verheißen – Menschenhändler. Die Mädchen freuen sich über jede
Zuwendung, auch die Mütter ahnen nichts Böses. So nette Männer …
Ein bisschen mehr als Gotteslohn –
Arbeitsbedingungen im kirchlichen Sozialsektor
Jens Schellhass, Nordwestradio, 2012
Die Arbeit im Pflegedienst bedeutet oft viel Verantwortung bei wenig
Anerkennung. Wer für einen kirchlichen Wohlfahrtsverband arbeitet,
darf nicht für mehr Lohn oder bessere Arbeitsbedingungen streiken.
Wer diesen »Dritten Weg geht, ist auf der Suche nach einer Alternative,
um die Grenzen zwischen Vorschlag und Gegenvorschlag aufzuweichen.
Aber im Arbeitsrecht der Kirche und ihren diakonischen Wohlfahrtsverbänden
verhärten sich die Fronten immer weiter. Daran muss sich
dringend etwas ändern, findet die Gewerkschaft. Ein Feature von
Jens Schellhass über die Arbeitsbedingungen in den kirchlichen Pflegediensten.
Charly Kowalczyk
Mittwoch, 1. Mai 2013
»Halts Maul, du lügst«
Verdingkinder in der Schweiz
Charly Kowalczyk
Hunderttausende Waisen- und Scheidungskinder, uneheliche und
sogenannte milieugeschädigte Kinder wurden in der Schweiz verdingt.
Sie wurden ihren Eltern häufig gegen deren Willen von der Vormundschafts-
oder Armenbehörde weggenommen, und zumeist bei Bauernfamilien
in Pflege gegeben, die dafür Kostgeld bekamen. Bis Ende
der 70er Jahre wurden viele von ihnen auf Bauernhöfen wie Sklaven
behandelt, einige wurden misshandelt und missbraucht. Eine staatliche
Kontrolle gab es kaum, Verdingkinder waren rechtlos.
Die meisten schweigen bis heute aus Scham. Auch die Bauernfamilien, die
von den Kindern profitierten, schweigen. Und die Schweizer Behörden
blockieren das Bedürfnis der Betroffenen, endlich mehr über ihre Vergangenheit
zu erfahren. Zahlreiche Akten wurden vernichtet oder sind unauffindbar.
Zudem verweigern die Behörden häufig den ehemaligen Verdingkindern
die Auskunft über ihre leiblichen Eltern. Charly Kowalczyk
hat Betroffene, Jugendamtsleiter und Politikerinnen getroffen.
Charly Kowalczyk
lebt in Potsdam. Er schreibt seit 1998 Features,
Reportagen und Sachbücher. Sein Interesse gilt vor
allem sozialen und umweltpolitischen Themen.
Er erhielt mehrere Feature-Preise.
Martina Keller
Mittwoch, 5. Juni 2013
Die Untoten
Organspender und das Dilemma der Transplantationsmedizin
Martina Keller
In vielen europäischen Ländern werden nicht nur Hirntote, sondern auch
Menschen mit Herzstillstand zu Organspendern – obwohl zweifelhaft ist,
ob sie tatsächlich schon tot sind.
In Spanien werden Herzanfallopfer nach längerer erfolgloser Wiederbelebung
unter Beatmung und Herzdruckmassage in die Klinik gebracht,
um ihre Organe zu retten. In Belgien werden Patienten, die von Ärzten
auf Verlangen getötet wurden, unmittelbar nach dem Herzstillstand zu
Spendern.
Auch in Deutschland fordern erste Stimmen, den Kreis der Organspender
um Menschen mit Herzstillstand zu erweitern. Ausgerechnet in einer
Zeit, da die Basis der Transplantationsmedizin insgesamt ins Wanken
gerät. Denn: Vielen Wissenschaftlern gilt inzwischen die Gleichsetzung
des Hirntods mit dem Tod des Menschen als widerlegt.
Martina Keller
arbeitet als Wissenschaftsjournalistin für Print, Radio und TV.
Sie schreibt über die Schnittstelle Medizin und Gesellschaft,
ist Gutachterin bei medien-doktor.de (Qualität im Medizinjournalismus),
erhielt mehrere Journalistenpreise.
Gabriele Stötzer
Mittwoch, 4. September 2013
Frauenzuchthaus Hoheneck
Demütigung, Willkür, Verrat
Gabriele Stötzer
Die Schriftstellerin wurde 1977 im Alter von 23 Jahren wegen Staatsverleumdung
zu einem Jahr Gefängnis verurteilt, von dem sie sieben Monate
in Hoheneck verbrachte. Einen Freikauf in die Bundesrepublik lehnte sie
ab. Mit dem Feature, das am 28. September 2011 als Ursendung bei MDR
FIGARO lief, hat Gabriele Stötzer ihrer Erinnerung einen Raum gegeben.
Dabei kostete sie die Beschäftigung mit dieser schmerzhaften Phase ihres
Lebens jedes Mal Kraft und Überwindung.
Und auch die meisten der Frauen, die Gabriele Stötzer für das Feature
»Frauenzuchthaus Hoheneck« ihr Schicksal offenbarten, haben erst
50 Jahre danach ihr Schweigen gebrochen. Die Schilderung der Haftbedingungen
ist beklemmend.
Das Feature erhielt den »Deutschen Sozialpreis« und den
»Juliane-Bartel-Preis«.
Gabriele Stötzer,
geboren 1953, gehörte zum DDR-Untergrund der Prenzlauer-
Berg-Szene, war 1989 Mitorganisation der Stasi-Stürmung in
Erfurt. Gabriele Stötzer arbeitet beim Mitteldeutschen Rundfunk
und für Zeitungen.
Dr. Eva Schindele
Mittwoch, 2. Oktober 2013
Schlecht behandelt
Über ärztliche Fehler, Schuld und ein Geschäftsmodell
Eva Schindele
David ist seit einer Operation an der Nasenscheidewand halbseitig
gelähmt und sprachbehindert. Dieser Vorfall liegt 13 Jahre zurück und
seitdem kämpft der 31-Jährige außergerichtlich und gerichtlich um
Entschädigung.
Das Problem: Er muss dem Chirurgen nachweisen, dass seine schwere
Behinderung durch einen Behandlungsfehler verursacht wurde. Gutachter
und Gegengutachter streiten erbittert und ziehen das Verfahren in die
Länge. Das ist der Regelfall. Die Arzthaftungsverfahren begünstigen einseitig
Ärzte, Krankenhäuser und ihre Haftpflichtversicherungen.
Eva Schindele hat mehrere von der Medizin geschädigte Menschen begleitet
und zeigt, wie sie durch das Rechtssystem ein zweites Mal verletzt
werden und niemand dafür die Verantwortung übernehmen will.
Dr. Eva Schindele ,
geboren 1951, lebt und arbeitet in Bremen. Sie ist Wissenschaftsjournalistin
– Schwerpunkte Medizin, Ethik, Politik;
Gutachterin bei medien-doktor.de (Qualität im Medizinjournalismus).
Erhielt verschiedene Preise.
Marie von Kuck
Mittwoch, 6. November 2013
Der Mut der Mücke
Lebensstrategien Alleinerziehender
Marie von Kuck
Alleinerziehend zu sein, ist in Deutschland Armutsrisiko Nummer eins.
Trotz der sich verschärfenden sozialen Lage wächst keine andere Bevölkerungsgruppe
so rasant wie diese und die Zahl ihrer von Armut betroffenen
Kinder nimmt stetig zu. Wie alleinerziehende Mütter ihren Lebensunterhalt
bestreiten, den Alltag bewältigen und ob sie glücklich sind,
erzählt das Feature von Marie von Kuck.
Die Autorin steht vor der schwierigsten Entscheidung ihres Lebens:
Sie ist 32, steckt mitten im Berufsleben und nun ist sie schwanger. Der
Kindsvater
will damit nichts zu tun haben. Soll ihr Kind leben oder nicht?
Wie geht es alleinerziehenden Müttern heute in Deutschland? Ist ihr
Leben erstrebenswert? Wäre es für sie zu bewältigen? Auf der Suche
nach Antwort trifft Marie von Kuck alleinerziehende Frauen, begleitet sie
durch ihren Alltag, lauscht den Kindern und lernt die Geschichte vom
Stechmückenweibchen kennen, das sich allein auf die lebensgefährliche
Suche nach Blut begibt, ohne das seine Eier nicht reifen können.
Am Ende steht ihr Entschluss fest.
Marie von Kuck,
geboren 1971, arbeitet seit 2001 als freie Autorin.
Sie schreibt Reportagen, Hörspiele und Radio-Features.
2010 erschien ihr Hörbuch »Unsere versäumten Tage.
Liebesbriefe von NVA-Soldaten«.
Rainer Schildberger
Mittwoch, 4. Dezember 2013
Über diese Brücken musst Du gehen –
Wenn die Zähne sich verabschieden
Rainer Schildberger
Unlängst ist mir ein Schneidezahn abgebrochen. Sportunfall. Eine Nacht
und einen halben Tag habe ich nicht gelächelt, nicht gesprochen. Nicht
gegessen. Nur mit Strohhalm getrunken. Mein Anblick im Spiegel: grässlich.
Nicht mehr ich. Bis mich der Zahnarzt erlöste und mir mein gewohntes
Erscheinungsbild zurückgab.
Jeder hat solche oder ähnliche Erlebnisse mit Zähnen und Zahnärzten
gemacht. Darüber gesprochen wird entweder gar nicht oder mit einem
gewissen Heldenmut. Denn was sich im Mund abspielt ist peinlich, wird
gerne verschwiegen oder im Gegenteil, ganz offen gezeigt. Makellose
Zähne suggerieren und versprechen Erfolg, Gesundheit, Sex. Selbst wenn
sie falsch sind. Schlechte Zähne sind heute mehr denn je ein Stigma.
Für Nachlässigkeit, Erfolglosigkeit, Armut.
Das Feature erzählt Geschichten von Angst und Identitätsverlust,
vom Kult um die Zähne und dem ganz alltäglichen Gang zum Zahnarzt.
Geschichten über Verlust und Schein, Schmerz und Scham.
Rainer Schildberger,
geboren 1958, studierte Geschichte, Sport.
Er arbeitet als Feature- und Hörspielautor,
Lektor und Schreiblehrer; organisiert
eine Lesebühne für unbekannte Autoren in
Berlin und veröffentlicht Romane und
Erzählungen.