bremer hörkino

Radio-Geschichten live erleben

Deutschlandfunk

So, 23.11.2014

Oft sind es die kleinen Geschichten, die berühren

Das Feature im Deutschlandfunk

Sie ist eine Redakteurin, die die Feature-Landschaft prägt. Viele ihrer Produktionen haben renommierte Preise erhalten und sie sorgt dafür, dass das politische Feature kleine und große Geschichten erzählt. Ein Gespräch mit der Feature-Redakteurin Karin Beindorff.

Sie arbeiten seit 1996 im Feature beim Deutschlandfunk. Wie hat sich das Feature verändert?

Natürlich hat sich die technische Seite der Produktion stark verändert, weil wir auch seit Jahren alles digital produzieren. Doch die Veränderung ist für Hörerinnen und Hörer nicht sehr stark wahrnehmbar.

Gibt es im Feature Moden oder Vorlieben, wie man eine Geschichte erzählt, zum Beispiel einen Ich-Erzähler, der eine Geschichte aus seiner Perspektive erzählt?

Diese Tendenzen gibt es insgesamt in der ARD-Feature-Welt, aber ich glaube bei uns im Deutschlandfunk hat sich das nicht so niedergeschlagen, auch weil wir oft antizyklisch gearbeitet haben. Die Ich-Erzähler-Feature hat es immer gegeben. Wir haben viele Jahre im August eine spezielle Reihe gehabt, die hieß „Auf der Schattenseite des Jahrhunderts“, das waren Personen-Porträts und waren sehr stark auf eine Ich-Perspektive konzentriert. Wir sind, was die Formen anbetrifft, sehr offen, passen sie eher dem Stoff als den Moden an.

Ein Autor erzählte im „Bremer Hörkino“, dass man vor 20 Jahren noch gut vom Feature leben konnte. Halb im Spaß fügte er noch hinzu, jetzt müsse er noch bis zur Rente durchhalten. Hat das Feature noch eine Zukunft?

Ja und nein. Innerhalb der ARD ist sehr viel abgebaut worden – aber nicht im Deutschlandradio. Wir haben immer noch eine hohe Zahl an Produktionen bei uns im Deutschlandfunk und Deutschlandradio Kultur. Es gibt bei uns auch keine Debatten darüber, dass im Feature-Bereich besonders gespart werden soll. Was wir natürlich alle zu spüren bekommen ist, dass die Kosten einfach gestiegen sind und die Gebühren nicht erhöht werden.

Und die Sparmöglichkeiten liegen immer nur da, wo man mit freien KollegInnen zusammenarbeitet. Wir arbeiten fast nur mit freien AutorInnen, unsere RegisseurInnen sind keine Festangestellten, wir machen unsere Produktionen fast alle mit freien SchauspielerInnen, die ja auch bezahlt werden müssen. Am Leichtesten spart man immer da, wo es um Honorare geht, und das ist etwas, womit wir uns auch als Redakteure sehr stark auseinandersetzen. Da geht es um die Zukunft unseres Genres. Aber freie Autoren können besser als ich beurteilen, welche Zukunft das Feature hat und wie gut oder schlecht man davon leben kann. Ich kann von meiner Redaktion sagen, dass es eine Reihe von Autoren gibt, die es nicht mehr leicht haben, ihre monatlichen Einkünfte zusammenzukriegen. Gerade im politischen Bereich ist es immer schwieriger geworden, Themen zu platzieren.

Woran liegt das?

Ich vermute, dass in vielen Feature-Redaktionen die Meinung vorherrscht, dass Human-Touch-Themen vielleicht beim Publikum besser ankommen. Und politische Themen sind oft im Feature nicht leicht umzusetzen, denn sie setzen eine besondere Recherche und Autoren voraus, die große Kenntnisse und großes politisches Interesse haben; das ist unter den Autoren vielleicht auch eine Minderheit. Bei uns ist es aber dennoch so, dass wir weitaus mehr angeboten bekommen, als wir leider umsetzen können.

Nach welchen Kriterien suchen Sie die Themen aus?

Mit ‚begründeter Willkür‘. Es ist schwierig zu behaupten, dass es objektive Gründe gibt, ein Thema auszusuchen. Bei mir ist es davon abhängig, dass mich das Thema einfach ansprechen muss, dass ich den Eindruck haben muss, ich hab darüber nicht schon drei Filme gesehen, es fünf Mal in der Zeitung gelesen. Ich springe gerne auf Themen an, von denen ich den Eindruck habe, das könnte interessant sein, da weiß ich selber noch gar nicht so viel darüber, das müsste man jetzt wirklich mal öffentlich verhandeln.

Die Autoren senden uns Exposés, und wenn ich den Eindruck habe, dass da jemand etwas sehr Interessantes aufgeschrieben hat und dass die Autorin oder der Autor auch das Radio Handwerk gut beherrscht, dann ist man eher geneigt, dem Autor den Auftrag zu geben. Wobei es hin und wieder auch ganz junge Autoren gibt, mit denen wir in unserem Programm zum ersten Mal etwas machen. Das macht häufig relativ viel Arbeit, aber das finde ich wichtig. Jeder hat ja mal angefangen und muss einfach auch mal Erfahrungen machen und sich profilieren können.

Gibt es denn genügend Angebote von jüngeren Autorinnen und Autoren?

Ich bin mir unsicher, ob ich 30-Jährigen raten soll, sich auf diesen Bereich der Autorenschaft im Radio zu stürzen. Ob man in fünf oder zehn Jahren damit noch so viel verdienen kann, dass es eine wirkliche Berufsperspektive ist? Ich habe immer noch eine Papier-Adresskartei unserer AutorInnen, und wenn ich die so durchblättere, dann stelle ich fest, dass ein nicht unerheblicher Teil einen Lebenspartner, eine Lebenspartnerin haben, die ein festes Gehalt beziehen.

Lassen sich junge Leute von der ökonomischen Unsicherheit abschrecken?

Ja, das passiert - nicht unbedingt denjenigen, die jetzt schon die Berufsperspektive haben, Feature-Autor zu werden, sondern bei den Journalisten, die auf ein besonderes Thema gestoßen sind, von dem sie merken, dass man das in den inzwischen üblichen 1.30 Minuten nicht abhandeln kann. Die fragen dann bei uns an, ob sie ein Feature machen können. Dabei entstehen manchmal auch sehr interessante Dinge.

Was macht das Besondere dieses Sendeplatzes „Politisches Feature“ aus?

Das ist einer der letzten Feature Sendeplätze, der dezidiert ein politischer Sendeplatz ist. Wobei wir das Politische verhältnismäßig weit auslegen. Uns geht es nicht um Tagesaktuelles oder Dinge, die im Moment in den Tageszeitungen stehen. Wir arbeiten eher Hintergründiges auf und die Unterzeile heißt bei uns „Zeitgeschichte und Zeitkritik“. Wir sind auch froh, dass wir da einen großen Gestaltungsspielraum haben, was die Themenwahl angeht. Mein Kollege und ich machen sehr gerne Dinge, von denen wir meinen, dass sie der Mainstream-Journalismus nicht genügend aufgreift wie etwa die Finanzkrise, die Entwicklung in Afghanistan, im Irak, die Kriegseinsätze – alles, was in Politik und Gesellschaft der kritischen Nachfragen bedarf.

Wir haben häufig den Eindruck, dass die aktuelle Berichterstattung da etwas zu kurz greift. Wir sind immer auf der Suche nach Autoren, die die Sprachen sprechen, in den Ländern wie Afghanistan, Irak und die gute Kontakte haben, die Hintergründiges berichten können, was vielleicht auch die Mainstream Berichterstattung ein bisschen konterkariert.

Spielen Quoten bei Feature oder Hörspiel eine Rolle?

Nein, es spielt überhaupt keine Rolle. Und wir können glücklicherweise sagen, dass wir trotzdem keine Probleme haben, ein Publikum zu finden. Auch wenn wir kein Massenpublikum erreichen – wir nehmen den öffentlich-rechtlichen Auftrag sehr ernst. Information kann auch unterhaltend oder sehr witzig sein, das muss nicht immer bierernst daher kommen.

Ältere Autoren erzählen, dass es damals noch viel Hörerpost und Mitschnitt-Wünsche gab. Hat sich durch das Internet die Kommunikation zwischen Hörern, Autoren und Sender verändert?

Wer geht heute noch zur Post und verschickt einen handgeschriebenen Brief wie früher? Es gibt noch ältere Hörer, die keinen Internet-Anschluss haben und das Manuskript geschickt haben möchten, das macht unser Hörer Service auch immer noch. Aber viele Hörer laden sich die Manuskripte aus dem Internet herunter. Und Kritik und Lob kommen heute meist per email.

Die meisten unserer Sendungen stehen im Internet: das Dienstags-Feature, das kulturelle Feature und das Dossier vom Freitag, am Sonntag „Freistil“. Man kann sie nachhören, auch die Manuskripte stehen dort und deshalb haben die Manuskript-Anforderungen fast vollständig aufgehört. Es ist für uns ein riesiger Vorteil, dass man nicht mehr dienstags um 19.15 Uhr pünktlich vor dem Radio sitzen muss. Dadurch hat sich die Hörerschaft vergrößert. Leider wissen wir nicht ganz genau wie. Wir würden gerne über Tools verfügen, um nachprüfen zu können, welche Feature werden besonders gehört? Was wird am häufigsten runtergeladen? Wie viele Podcasts werden bestellt? Man kann ja das Feature podcasten, sich regelmäßig zuschicken zu lassen auf seinen Computer oder man kann es als Audio on demand anklicken. Aber da hätten wir ganz gerne mal genaue Zahlen.

Es gibt keinen Zähler, der festhält, wie viele Male ein Feature vom Netz gezogen wird?

Das gibt es, aber wir verfügen nicht darüber.

Auf welche Themen reagieren Hörerinnen und Hörer besonders aufmerksam?

Gerade komplexe Themen wie die Finanzkrise treiben politisch interessierte Hörer sehr um. Was passiert da eigentlich? Wie lässt sich verständlich erklären, was im Investment Banking passiert? Auch aktuelle Konflikte interessieren: der Nahost-Konflikt, das Verhältnis zwischen Israelis und Palästinensern, die Hintergründe des deutschen Einsatzes in Afghanistan. Und es sind oft auch kleine Geschichten, wie Ihr Feature über die Verdingkinder in der Schweiz - das sind Dinge, die hat man so nicht gewusst, und das hat Leute außerordentlich berührt, was da passiert ist. Es hat auch Erinnerungen wachgerufen an Heimerziehung in Deutschland, an Kindheitserlebnisse in Heimen.

Es gibt auch beim Feature das Zauberwort „investigativ“. Kann man als Autor den Ansprüchen an ein investigatives Feature überhaupt nachkommen?

Investigativ zu recherchieren kostet Geld und Zeit. Und die Arbeitsbedingungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk sind nicht so, dass man wie etwa beim „Spiegel“ oder beim „Stern“ sagen kann: „Du bist jetzt sechs Monate freigestellt für die Recherche.“ Es kann ja auch passieren, dass sich die Sache nach sechs Monaten totgelaufen hat und es keine Veröffentlichung gibt. Das ist beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk eigentlich gar nicht drin. Es gibt ja jetzt eine gemeinsame investigative Gemeinschaft von NDR, WDR, Süddeutscher Zeitung und anderen, dem aber jemand vorsteht, der lange beim „Spiegel“ gearbeitet hat und dem man auch mal ein Thema „zusteckt“.

Dass jemand beim Deutschlandfunk anruft, der noch nicht einmal Geld dafür bekommen würde, wenn er geheimnisvolle, wichtige Dinge auszuplaudern hätte, das halte ich für sehr unwahrscheinlich. Deshalb ist der Begriff „investigativ“ für ein Feature sehr, sehr hoch gegriffen. Eine gründliche Recherche wäre schon gut.

Was zeichnet ein gutes Feature aus?

Natürlich ein guter Text, gute O-Töne, eine Dramaturgie, die einem von der ersten Minute das Gefühl gibt, ich will das zu Ende hören, weil ich hinterher mehr weiß als vorher. Ich finde es schwierig, Regeln dafür aufzustellen, was ein gutes Feature ist. Im Feature kommen ganz viele Dinge zusammen, und das macht gerade seine Stärke aus. Eines der extremsten Stücke, das ich mal mit einer zweisprachigen Autorin gemacht habe, war ein arabisches Originalton-Stück, in dem vier Frauen der Hisbollah auf Arabisch erzählt haben, welche Erfahrungen sie mit dieser Organisation gemacht haben. Wir haben diese Frauen in längeren Passagen sprechen lassen und dann einen deutschen Übersetzungstext drauf gesetzt ohne die Originale zuzutexten. Es hat auch keinen erklärenden Autorinnentext gegeben, der war nicht nötig.

Auf den ersten Blick meint man: “Das geht in Radio auf keinen Fall.“ Doch es gibt verschiedene Möglichkeiten so was umzusetzen, und das hängt ganz stark von dem Material ab, ob sich daraus etwas Gutes, Hörbares, Interessantes, Lehrreiches, auch mal Amüsantes machen lässt.

Hörspiel und Feature laufen auf getrennten Sendeplätzen, manchmal hab ich den Eindruck, die Genres gleichen sich immer mehr an…

Im Deutschlandfunk und im Deutschlandradio Kultur gibt es jeweils eine gemeinsame Abteilung, aber es gibt nach wie vor auch Trennlinien. Vor allem was die Stoffe angeht: das Feature beruht nicht auf Fiktion, während das Hörspiel überwiegend fiktional ist. Und die Produktionsbedingungen sind nach wie vor andere, das Hörspiel hat sehr viel längere Produktionszeiten, hat in der Regel auch ein bisschen mehr Geld zur Verfügung.

Es gibt auch Überschneidungen, darüber diskutieren wir beim gemeinsamen Abhören viel miteinander: ob wir eine Dramaturgie, eine Produktion gut finden, ob uns eine Regie gefällt, ob wir die Besetzung, die Schauspieler darin gut finden, ob wir es vielleicht anders gemacht hätten. Aber es sind nach wie vor zwei unterschiedliche Bereiche, die Ähnlichkeiten haben, die aber doch zwei verschiedene Schuhe sind.

Unser Programm 2015 im „Bremer Hörkino“ beginnen wir mit dem Hörspiel „Traumrollen“ von Jean-Claude Kuner, eine Produktion des Deutschlandfunks - ausgezeichnet als Hörspiel des Jahres 2013. Die Schauspieler-Legenden Nadja Tiller und Fritz Lichtenhahn spielen darin ihre Traumrollen nach. Für mich war das eher ein Feature.

Das ist richtig, das könnte auch ein klassisches Kulturfeature sein. Und da muss man auch nicht päpstlicher sein als der Papst, dann ist es eben so etwas wie ein Zwischenstück.

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