Hörkino-Archiv 2005

Marc Thörner
»Wir sind die falschen Feinde.«
Der Alltag der Mission »Iraqi Freedom« – amerikanische Soldaten in Bagdad
Marc Thörner
Deutschlandfunk, 2005
»Japan ist befreit, Deutschland ist demokratisiert, in der arabischen
Welt wird es genauso klappen« – mit diesem Optimismus haben
viele GI ihre Mission angetreten. Die Foltervorfälle in Abu Ghraib
und der Schiitenaufstand haben das Verhältnis zwischen USSoldaten
und Bevölkerung verschlechtert. Falludscha, Nadschaf, Sadr
City … bis mitten in die Hauptstadt haben sich Widerstandsnester
ausgebreitet, die trotz massiver Militäreinsätze nicht zu kontrollieren
sind.
In den US-Basen am Rande Bagdads, hinter mehreren Ringen aus
Stacheldraht und Beton, stellen sich die GI zunehmend Fragen nach
dem Sinn des Einsatzes. Der Autor spricht mit Kämpfern der Mahdi-
Miliz, mit Imamen und Jugendlichen in Sadr City, mit US-Soldaten
auf ihren Stützpunkten und begleitet sie auf ihren Patrouillen durch
die Problemzonen der Hauptstadt.

Eva Schindele
Brustbild.
Vom Mythos der Vorsorge
Eva Schindele
Westdeutscher Rundfunk, 2001
Ab 2005 werden in Deutschland Millionen Frauen im Alter zwischen
50 und 69 Jahren in lokale Mammografiezentren eingeladen.
Mit diesem Programm soll die Brustkrebssterblichkeit gesenkt werden.
Eine politisch gewollte Strategie, die wissenschaftlich umstritten
ist. Darüber jedoch erfahren die Frauen wenig. Der Nutzen
wird überbetont, die Risiken der Untersuchung werden heruntergespielt.
Bremen startete bereits 2001 mit den Reihenuntersuchungen.
Die Sendung beleuchtet, was die Kampagne ausblenden soll: Die
Zweifel an der Wirksamkeit und die Sorgen der Frauen, die durch
das Screening erst geschürt werden.
»Eva Schindele erzählt in ihrem Feature von der Entzauberung
der weiblichen Brust und von ihrer Umwertung zu einem Feind im
eigenen Körper«, schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung.
Loriot zum 80.
»Ein Leben ohne Möpse ist möglich, aber sinnlos.«
Peter Moritz Pickshaus und Barbara Entrup
Rundfunk Berlin-Brandenburg/Radio Bremen/Deutschlandfunk/Saarländischer
Rundfunk/Südwestrundfunk/Norddeutscher Rundfunk, Österreichischer
Rundfunk/Schweizer Radio, 2003
»Ich habe keine Bibel im Hause, aber ich habe die Loriot-Bücher griffbereit.« Ruedi Bettschart
»Er hat den Deutschen gezeigt, dass man tiefsinnig und verwundert lächeln kann. Also, wenn zwei Leute in der Badewanne sitzen, dann kommt man möglicherweise weiter, als wenn man es darauf abstellt, lauter Klagen oder witzige Bonmots zu akzentuieren.« Walter Jens
»Vor ein paar Jahren hat man halb ernsthaft gefragt, ob Vicco von Bülow nicht der ideale Bundespräsident gewesen wäre. Als Nationalpädagoge der Nachkriegsdeutschen hätte er die Ehre wahrlich verdient.« Christoph Stölzl

Dr. Kai Schlüter
»Wir sind zum Erfolg verurteilt.«
Der Aufbau der privaten International University Bremen
Jutta Günther und Kai Schlüter
Radio Bremen, 2004
Von Skeptikern belächelt, von Reformern bejubelt nahm die private International University Bremen (IUB) vor vier Jahren den Lehrbetrieb auf, die ersten Studentinnen und Studenten haben ihr Bachelor-Examen abgelegt. Die IUB sucht sich ihre Studenten selbst aus, verpflichtet sie, auf dem Campus zu wohnen, und verlangt hohe Studiengebühren. Die Unterrichtssprache ist Englisch, der Anspruch hoch. Elite-Uni ja oder nein? Das Feature zieht eine Zwischenbilanz. Die Autoren haben mit Studenten und Professoren gesprochen, Lehrveranstaltungen besucht und Kritiker befragt. Sie vergleichen Anspruch und Wirklichkeit, Schein und Sein der IUB: Kann eine angelsächsische Privatuniversität in Deutschland Erfolg haben, funktioniert die Finanzierung aus Spenden und ist die Internationalität das richtige Konzept?
Spuren der Endlichkeit.
Das Alter. Eine anatomische Annäherung an ein unverrückbares Phänomen
Tina Plasil
Österreichischer Rundfunk Wien, 2004
Sie sind mobiler, agiler, reise- und vor allem kauflustiger denn je: die Alten. Sie werden umworben und es gilt die Parole, man sei ohnehin nur so alt, wie man sich fühlt. Der menschliche Körper aber zeigt sich weitgehend unbeeindruckt von Parolen aller Art. Er tut das, was sein genetisches Programm ihm vorschreibt: Er altert. Und er beginnt früh damit. Die Knochen werden porös, die Muskeln müde, das Gehirn schrumpft. Die Augen werden schwächer, die Hörleistung ebenfalls und selbst die Geschlechtsorgane verändern sich. Dazu all die äußeren Merkmale. Das Haar wird grau, dann weiß, das Haupthaar lichtet sich. Dafür sprießen Haare überall dort, wo man sie weder braucht noch will. Die Haut wird schlaff, faltig und fleckig, das Gewebe wabert. In dieser Dokumentation listet die Biologin Tina Plastil minutiös und genau auf, wie der Körper sich mit der Zeit verändert. Egal, wie jung oder wie alt wir uns dabei fühlen.
»Weinen Sie nicht, die gehen nur baden.«
Der Auschwitz-Prozess vor 40 Jahren.
Jochanan Shelliem
Südwestrundfunk, 2004
Am 8. Mai 1945 brennt ein Gebäude nieder. Der Feuersturm weht
Akten auf die Straße. Jahrzehnte später liegen acht Blatt aus
diesen Akten vor dem Frankfurter Generalstaatsanwalt Fritz Bauer:
Es sind akribisch geführte Erschießungslisten der Lagerwachen
von Auschwitz. Damit löst Fritz Bauer den größten Strafprozess der
Adenauer-Republik aus.
430 Stunden lief in diesem Prozess ein Tonband mit, aus dem
Jochanan Shelliem in seinem Feature »Weinen Sie nicht, die gehen
nur baden« Ausschnitte dokumentiert. Die bisher unveröffentlichten
Aufnahmen sind von einer erschütternden Intensität. Außerdem
kommen Zeitzeugen und Prozessbeteiligte zu Wort. Wissenschaftler
des Frankfurter Fritz-Bauer-Instituts schätzen die Bedeutung dieses
Prozesses für die Geschichte der Bundesrepublik ein und ziehen
Bilanz – die Bilanz eines Strafprozesses, der am 20. Dezember 1963
im Frankfurter Stadtparlament begann.

Dorothee Schmitz-Köster
Schon hier, aber noch dort
Anna aus Moskau kommt nach Deutschland
Dorothee Schmitz-Köster
Radio Bremen, 2005
Nein, eine Russlanddeutsche ist sie nicht. Anna, 29 Jahre alt, klein, rund und voller Energie, kommt aus Moskau – und sie ist stolz darauf. Im September 2003 ist Anna nach Deutschland gekommen. Ihr Vater ist jüdisch, deshalb hat Anna eine Aufenthaltsgenehmigung. Das Judentum spielt in ihrer Familie keine Rolle – auch, weil man in Moskau besser nicht jüdisch ist.
Anna hat studiert und spricht gut Deutsch. »In Russland habe ich keine Perspektiven«, sagt sie traurig, und: »Ich fühle mich mit Deutschland verbunden.« Einer ihrer Vorfahren, der Cellist und Kom- ponist Wilhelm Fitzenhagen, ist 1870 nach Moskau gegangen, der Karriere wegen – und ist geblieben. Das Feature begleitet Anna, es notiert Zweifel und Hoffnung, den Kleinkrieg mit Behörden. Parallel dazu: die Geschichte ihrer Vorfahren, die nach Moskau gin- gen, dort Erfolg hatten und nach 1917 zum Teil in den Westen zurückkehrten.

Mechthild Müser
Leben, das ist wie das Prickeln von Champagner.
Fanny Stevenson, Muse, Dichtergattin, Vagabundin
Mechthild Müser
Bayrischer Rundfunk, 2004
»Für mich war sie die einzige Frau auf der Welt, für die ein Mann willig sein Leben hingegeben hätte«, schrieb Ned Field über die Amerikanerin Fanny Stevenson. Er war der letzte Mann in ihrem Leben, 40 Jahre jünger als sie selbst. Fanny Stevenson (1840–1914)gierte nach Intensität, brach mit traditionellen Rollen: als Pionie- rin bei den Goldsuchern oder als Malschülerin an der AkademieJulian in Paris. Sie arbeitete, ernährte ihre Kinder, ihr erster Mann
peinigte sie mit Affären.
Dann traf sie ihre große Liebe, den Schriftsteller Robert Louis
Stevenson, zehn Jahre jünger als Fanny, den sie viel zu früh verlor. Dabei hatte sie alles getan, um dem Lungenkranken zu helfen,
und schuf ihm auf der Südseeinsel Samoa ein Zuhause. Für Stevenson war die leidenschaftliche Fanny Muse und Kritikerin zugleich. Erst
an ihrer Seite konnte er Erfolge einheimsen, Fanny begleitete seine berühmten Werke »Schatzinsel« und »Dr. Jekyll und Mr. Hyde«.

Michael Augustin & Walter Weber
»This is Harry Frohman speaking ...«
Die letzten Jahre des Comedian Harmonist Harry Frommermann
Michael Augustin und Walter Weber
Radio Bremen, 2005
Nach der erzwungenen Auösung der »Comedian Harmonists« im
Jahre 1935 hat ihr Gründer, der Berliner Harry Frommermann,
erfolglos versucht, an seine musikalischen Erfolge anzuknüpfen.
1945 kehrte er als amerikanischer Soldat zurück aus dem Exil, verließ
Europa resigniert und versuchte sich in New York in verschiedenen
Berufen. Erst 1962 siedelte er endgültig nach Deutschland
über und verbrachte die letzten zwölf Jahre seines Lebens
in Bremen.
Walter Weber und Michael Augustin haben bislang unbekannte
private Tonaufnahmen Harry Frommermanns aufgespürt.
Dokumente, die auf anrührende Weise Zeugnis ablegen von seinem
letzten vergeblichen Comeback-Versuch: als Protagonist des Ein-
Mann Ensembles »Vocal Orchestra«. Erstmals ist Harry Frommermann
im Originalton mit seinem Rückblick auf die »Comedian Harmonists«
zu hören.