bremer hörkino

Radio-Geschichten live erleben

Heide Schwochow
Rainer Schwochow

Mi, 08.09.2010

Die öffentliche Reaktion des Publikums

Interview mit Heide und Rainer Schwochow

Sie schreiben und produzieren seit 20 Jahren Features. Sie schaffen das Kunststück, dass ihre Stücke anspruchsvoll und dennoch unterhaltend sind. Ein Gespräch mit Heide und Rainer Schwochow über den Unterschied zwischen den verschiedenen Genres im Radio, und was das Besondere am Feature ist.

„Wir genießen die öffentliche Reaktion des Publikums“

Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Hörspiel und Feature?

Heide: Es gibt Ähnlichkeiten, beide sind durchkomponierte Sendungen. Ein Feature ist eine reale- das Hörspiel eine fiktive Geschichte. Beim Feature gibt es allerdings viele Varianten. Auch da kann man mit Fiktionen arbeiten - aber man geht schon von einer realen, wahren Geschichte aus.

Was ist das Besondere am Feature?

Rainer: Es gibt diese schöne Formulierung: Feature kann alles. Andere Sendeformen sind bewusst reduzierter, beschränken sich auf einen Ausschnitt und auf eine Darstellungsform. Feature hat alle Darstellungsformen. Man kann einen Prosatext schreiben oder ein reines O-Ton-Stück produzieren. Man kann sowohl seine eigene Meinung formulieren oder einen Sachverhalt objektiv zu erfassen versuchen. Ein ganz wesentlicher Unterschied ist, dass man beim Hörer sehr viel stärker Assoziationen und Gefühle wecken kann. Den Autoren stehen alle akustischen Möglichkeiten offen. Musik kann Empfindungen hervorrufen oder verstärken und dabei auch gegenteilige Assoziationen zum davor gesprochenen Wort hervorrufen. Auch über Geräusche und Atmosphären entstehen Assoziationen. Wenn ich eine Baustelle habe, ist es wichtig, nicht nur die Baugeräusche im Blickpunkt zu haben, sondern ich versuche im Kopf des Hörers die ganze Baustelle entstehen zu lassen. Das ist vergleichbar mit einer Kamera, die das Ganze im Blick hat.

Kann Reportage das nicht auch alles?

Heide: Ein Feature kann auch eine Reportage sein. Der Unterschied ist einfach nur, dass man mehrere Darstellungsformen bei einem Feature kombinieren kann. Beim Feature ist der Anspruch, eine Mischung aus Journalismus und Kunst herzustellen. Die Kunst entsteht manchmal einfach durch die Art der Montage, wie man die unterschiedlichen Elemente und Ebenen komponiert. Das ist wie bei einer Sinfonie oder wie bei einem Bild. Man kann auch essayistische Elemente nehmen oder von einem Ereignis berichten. Wegen dieser kreativen Freiräume gibt es bei Feature Autoren auch den elitären Gedanken, sich als Avantgarde des Hörfunks zu fühlen.

Wo sehen Sie den Unterschied zum Dokumentarhörspiel?

Heide: Eigentlich kann ich mit dem Begriff „Dokumentarhörspiel“ nichts anfangen. Ich würde eher sagen, das ist ein Feature. Zu DDR Zeiten wurde manchmal vom O-Ton Hörspiel gesprochen. Die erste Feature-Definition kam von der BBC. Das war eben diese Mischung aus Kunst und Journalismus. Dann gab es die Avantgardisten des Features, zum Beispiel Alfred Andersch: „Feature ist reine Kunst also L´art pour l´art“ und so waren seine ersten Feature auch. Mit den 70er Jahren kam die Entwicklung des „akustischen Films“ durch Peter-Leonard Braun: Da fing man an mit Reportage-Techniken zu arbeiten und das Mikrofon wie eine Kamera zu nutzen.

Rainer: Ich glaube, das Wesen der Reportage ist: Ich komme als Hörer in die Situation, die der Reporter erlebt und ich teile dessen Wahrnehmung. Im Unterschied zur Reportage werden beim Feature permanent andere Perspektiven eröffnet, die teilweise nur im Kopf des Hörers entstehen. Das gehört meiner Ansicht nach zum guten Feature dazu. Eine pure Reportage ist kein gutes Feature.

Was hat Sie an diesem Genre Feature gereizt?

Rainer: Eigentlich die Neugier auf Geschichten von Menschen oder Vorkommnissen, die erst mal uns selber interessieren. Und die wir dann so spannend finden, dass wir es anderen Leuten weitergeben wollen.

Heide: Das hat auch damit zu tun, dass wir beide vom Hörspiel kommen und irgendwann war der Wunsch, reale Geschichten zu finden. Wenn man erst einmal anfängt, sich von Leuten Geschichten erzählen zu lassen, hat das einen großen Reiz.

Rainer: In unserem ersten gemeinsamen Feature haben wir unsere eigene Geschichte aufgeschrieben, „Schattensprung“, ganz ohne O-Töne. Auf Grenada, als wir über die Invasion der US-Amerikaner recherchierten, trafen wir auf einer Kakaoplantage einen strahlenden Mann, so Mitte 40. Diesem Mann sprang noch das revolutionäre Feuer aus den Augen. Das fand ich sehr beeindruckend, es war so echt, oder authentisch - wie man heute sagt. Im Laufe dieser Recherche sind wir auf Leute getroffen, die während der Invasion als Touristen auf Grenada waren und auf ihren Kassettenrekordern Geräusche und Atmosphären von damals aufgenommen hatten. Dadurch entstand im Feature eine unglaubliche Lebendigkeit.

Heide: An unser erstes Feature „Schattensprung“ erinnere ich mich auch häufig. Aber ich glaube, dass ich es heute nicht mehr mit ausschließlich geschriebenen Texten machen würde, sondern auch Dokumentarmaterial nutzen würde. Aber wir wussten es damals nicht besser. Heute würde ich sogar denken, so kann man es nicht machen. Trotzdem: Nach diesem Feature bekamen wir gleich die Möglichkeit ein zweites zu machen und dann hatten wir keine Schwierigkeiten mehr, Aufträge zu bekommen.
Wir haben immer Themen gewählt, auf die wir Lust hatten, bei denen wir noch was lernen konnten. An ein Feature erinnere ich mich gut. Es war ein Stück über das Verhältnis von Klienten und Therapeuten. Wir hatten damals so viel recherchiert, weil wir das Gefühl hatten viel zu wenig zu wissen. Im Nachhinein ist mir vor allem die Recherche in Erinnerung geblieben.

Rainer: Bei mir kam die Entscheidung Feature zu machen auch aus unserer Lebenssituation. Wir zogen von Ostberlin nach Hannover und ich war arbeitslos. Für Hörspiele fehlte mir jeder Boden in der neuen Umgebung im Westen. Um mir fiktive Geschichten auszudenken hatte ich überhaupt keinen Ansatzpunkt mehr. Alles war mir relativ fremd. Insofern war es für mich das Nächstliegende, eine Geschichte zu erzählen, die aus der Realität kommt.

Gab es im Rundfunk der DDR Feature zu hören?

Rainer: Es gab Features, aber nicht sehr viele. Realität relativ unverstellt abzubilden war nicht einfach. Die Grenzen von Journalismus und Kunst waren politisch sehr eng. Ich weiß aber, dass es sehr, sehr viele Kämpfe um Projekte gab, die für die damaligen Verantwortlichen zu realistisch waren.

Heide: Fast hätte ich es vergessen, dass ich schon zu DDR-Zeiten zum Feature gekommen bin. Ich konnte eine Regieassistenz bei einem Feature machen. In dem Stück ging es um eine Rundfunkjournalistin, die ein offenes Massengrab in Angola fotografiert hatte. Aus Angola hatte sie dann ein Waisenkind mitgebracht. Darüber erzählte sie. Auch darüber, wie die Leute reagiert haben und warum sie dieses Massengrab überhaupt fotografieren konnte. Die Journalistin hatten wir im Urlaub im Rundfunkheim der DDR kennen gelernt, irgendwo in Zakopane. Sie hatte eine sehr originelle Art zu erzählen. Als ich ihr Feature dann las, war davon überhaupt nichts mehr zu spüren. Angelika Perl, die Regisseurin und ich haben dann Interviews mit ihr gemacht und das Feature umgeschrieben. Unsere Abteilung im Rundfunk stand Kopf, zumal ich auch noch gerade aus der Partei ausgetreten war, aber ihnen gefiel es. Wir haben es innerhalb einer Woche fertig gemacht. Autorin und Redakteurin wurden mit dem Feature „Ich kann Kasinga nicht vergessen“ sogar zum Prix Futura nach Westberlin eingeladen. Das war meine erste Erfahrung mit diesem Genre.

Denken Sie beim Schreiben schon an die Hörerinnen und Hörer?

Rainer: Wenn ich überprüfe, ob ich die Geschichte wirklich verständlich erzähle, ist das Publikum dabei. Ansonsten denke ich nicht darüber nach. Aber es ist schon so, dass ich während des Arbeitens immer mal versuche, das Geschriebene mit einem fremden Blick zu lesen.

Heide: Also mir geht es stärker so, weil ich sehr auf Wirkungen achte. Das heißt nicht, dass es immer gelingt. Aber natürlich gucke ich, wie steige ich ein? Wo ist es spannend? Was könnte Leute interessieren, was ist sinnlich? Sinnlichkeit ist mir sehr wichtig. Dann sollte man auch über Rhythmuswechsel nachdenken, nicht alles in einer Tonlage machen. Da ich von der Regie komme, denke ich immer schon mit: Wie kann es inszeniert werden? Welchen Gestus hat eine Sprecherfigur und vieles mehr. Ich habe einfach eine große Lust, meine Geschichten weiter zu erzählen. Da sind Rainer und ich unterschiedlich. Ich kommuniziere und erzähle nun mal gerne, auch privat. Und das ist schon etwas, was einen antreibt.

Manche Autoren sind unsicher, wenn sie ins Bremer Hörkino eingeladen werden. Sie haben auch ein wenig Angst vor der Kritik des Publikums. Wie haben Sie das erlebt?

Rainer: Angst vor dem Publikum habe ich überhaupt nicht. Es gibt bei mir höchstens die Angst, dass ich etwas falsch gemacht habe oder etwas nicht gut genug recherchiert ist. Ich habe eher zu kämpfen damit, jemanden nicht gerecht zu werden, mit dem ich ein Interview gemacht habe. Ich sage es mal bösartig: Ich erschleiche mir dessen Vertrauen, um dann seine Geschichte öffentlich zu machen, in einem Zusammenhang, der ihn nicht unbedingt gut dastehen lässt. Zum Interview gehört, dass mein Gegenüber vergisst, dass es ein Interview ist und dass es später im Radio zu hören sein wird. Gegenüber diesem Menschen habe ich ein mulmiges Gefühl, es ist immer so ein Grenzbereich.

Heide: Es ist ja so, jeder Mensch liebt Anerkennung und du möchtest natürlich auch gelobt werden für das, was du da vorstellst. Ich habe keine Angst vor Kritik, ich mag es nur nicht, wenn die Kritik so völlig uninspirierend ist. Wir haben in unserem Job das Pech, dass wir beim Radio nicht die unmittelbare Reaktion des Publikums mitkriegen. Zu hören, wann lachen sie, zu sehen, wann runzeln sie die Stirn, zu begreifen, dass das Publikum mitgeht, die unmittelbar mitzukriegen, was du gemacht hat – das ist das wirklich Schöne an öffentlichen Veranstaltungen. Ich genieße es im Hörkino mit dem Publikum ins Gespräch zu kommen. Natürlich bin ich davor trotzdem aufgeregt. Oftmals kriegt man eigene Probleme bestätigt, aha, das ist nicht ganz geglückt oder an der Stelle hättest du noch mal tiefer reingehen können. Manchmal wird man mit Dingen konfrontiert, die völlig neu sind. Das ist auch spannend. Aber wir haben es bei einer Vorführung auch noch nicht erlebt, dass jemand wütend, sauer auf uns ist. Das ist sicher nicht leicht auszuhalten.

Was ist schwieriger für Sie: Ihr Feature auf einer öffentlichen Veranstaltung oder vor einem Fachpublikum vorzuspielen?

Heide: Bei einer ARD-Feature-Konferenz ist das noch mal was ganz anderes. Da fanden ja schon regelrechte Schlachtfeste statt. Auch bei einem Fachpublikum haben die Menschen einen unterschiedlichen Geschmack. Trotzdem gibt es da pauschal harte Urteile. Dazu kommt noch, dass man dort nur einen Ausschnitt von nur zwölf Minuten hört…also bei so einer Konferenz ist die Furcht groß, oh mein Gott, hoffentlich wirst du jetzt nicht zerrissen. Zumal man als Autor auch ökonomisch abhängig ist von den Redaktionen in den Rundfunkanstalten.

Rainer: Ob ich ein Stück beispielsweise im Bremer Hörkino vorspiele oder vor einem Fachpublikum, das sind zwei völlig verschiedene Dinge. Bei diesen ARD-Feature-Konferenzen gibt es zum Teil unterschiedliche Auffassungen von Redakteurinnen und Redakteuren über die Machart von Features. Und du bist sozusagen „der Gegenstand“, an dem sich diese Auseinandersetzung entzündet. Und du kriegst alle Schläge ab. Ich habe es einmal erlebt. Danach habe ich gesagt, das tue ich mir nie wieder an. Während ich bei öffentlichen Veranstaltungen immer was Positives mitnehme. Die unmittelbare Reaktion eines Publikums ist einfach etwas Tolles. Ich genieße das. Vielleicht auch, weil ich ursprünglich vom Theater komme, da hatte ich jeden Abend die unmittelbare Reaktion. Die fehlt mir natürlich beim Rundfunk. Öffentliche Veranstaltungen wie das Hörkino sind die einzige Möglichkeit, überhaupt mitzubekommen, wie unsere Sendungen bei Hörern funktionieren.


Heide Schwochow begann 1987 beim Hörfunk der DDR als Regieassistentin, Regisseurin und Autorin, lehrte Jahre später als Dozentin an der Universität Leipzig. In dieser Zeit brachte sie als Programmdirektorin das erste Uni-Radio Deutschlands mephisto 97,6 mit auf den Weg. Aktuell arbeitet Sie als freiberufliche Regisseurin und Autorin für Rundfunk und Film. Gemeinsam mit ihrem Sohn, Christian Schwochow, schrieb sie das Drehbuch für den Kinofilm „Novemberkind“, 2008.

Rainer Schwochow war von 1980-1983 Dramaturg am Theater in Erfurt, danach Entwicklungsdramaturg beim Rundfunk der DDR, Abteilung Kinderhörspiel. Mitte der 90iger Jahre ging er für MDR Kultur in der Reihe „Was wir wirklich wissen wollen“ auch den Fragen nach: „Was ist eine Hexe?“ „Wie kommt der Ameisenhaufen in den Wald“ und „Woher kommt der Weihnachtsmann?“ Er ist freier Hörfunkjournalist, Autor, Regisseur und Sachbuchautor.

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