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Peter Leonhard Braun

Mo, 20.09.2010

Peter Leonhard Braun: Feature-Pionier

Interview

Er ist mit 82 Jahren beim „Prix-Europa“ immer noch verantwortlich für den Bereich Hörfunk. Er gilt als Entdecker des „akustischen Films“ beim Radiofeature. Er ist der Pionier der ersten stereofonen Feature-Produktion – Thema: Hühner. Ein Gespräch mit dem „grand seigneur“ des Feature, Peter Leonhard Braun.

Wie lang soll det Janze werden?

Das kommt drauf an…
Aber jetzt hier nicht Abendfüllend, ja?

Vier Stunden habe ich mir so gedacht. Ist das in Ordnung? Det jibs doch nich.

Na ja, vielleicht dauert das Gespräch doch nur eine halbe Stunde…
Also, Sie werden merken, dass ich unberechenbar spreche: mal laut, mal leise. Sie müssen also sehen, dass Sie nicht allzu nahe an mir dran sind. Aber Sie wollen ja gar keenen Ton…

Wir wollen das Gespräch schriftlich veröffentlichen. Aber ein wenig Ton möchte ich schon…
Haben Sie DEN überhaupt schon gesehen?

Ist das Ihr Hund?
Ja und ick hab noch eenen… Ich war immer ein Mops-Mann.

Wie Loriot?
Nicht ganz so extrem.

Wann waren im Radio zum ersten Mal Stereoaufnahmen zu hören?

Die Stereofonie begann 1939/40 hier im Berliner Rundfunk. Es war eine Initiative von „verrückten Toningenieuren“. Und das war alles nur möglich, weil ein Jahr zuvor das Tonband erfunden wurde. Mit zwei Mikrofonen wurde ein Orchester aufgenommen und das Außergewöhnliche dabei war, dass es nur einen einzigen Hörer in Deutschland gab: Göbbels. Er war der Einzige, der in Deutschland eine Stereoanlage besaß. In der Kriegszeit bis 1945 wurde nicht viel mit dieser neuartigen Tontechnik aufgenommen, aber man hatte in Berlin deren Bedeutung erkannt. 1945 brannte das Rundfunkgebäude. Der damalige Toningenieur und Oberverrückte hieß Krüger. Später wurde er der technische Chef vom SFB (Sender Freies Berlin) und wir nannten ihn Krüger-Krüger, wegen der Stereofonie. Krüger hechtete in den letzten Kriegstagen in das brennende Rundfunkhaus und rettete drei oder vier Stereo-Bänder. Diese blieben übrig wie ein kostbarer Schatz. Wenn ich mich richtig erinnere waren auf den Bändern eine Klaviersonate von Walter Gieseking und einiges vom ganz frühen Karajan, und davon verschwand auch noch die Hälfte nach Russland. Um die Geschichte zu Ende zu bringen: Wir hatten Jahre später einen wunderbaren Musikredakteur, Klaus Lang, und der hat in jahrelanger Recherche die fehlenden Bänder in Moskau wieder aufgetrieben. Diese ganz frühen Produktionen in Stereotechnik waren Konzertaufnahmen aus dem Berliner Rundfunkhaus.

Die Musik-Stereofonie war eine reine Aufnahme-Stereofonie. Das Konzert blieb ein Konzert, man nahm es nur anders auf. In dem Augenblick aber, in dem die Wortproduktion dazu kam, fand eine zweite Entdeckung der stereofonen Möglichkeiten statt. Das heißt, ich konnte jetzt plötzlich eine Menschenmasse ganz anders darstellen, viel differenzierter als vorher mit einer monoralen Aufnahme. Aus der Aufnahmetechnik eine Ausdruckstechnik zu machen war ein langer Weg. Ich lebte damals in London und kriegte die Entwicklung der Stereofonie in Berlin mit und begriff, wenn ich da was machen will, muss ich nach Berlin zurück. Ich hatte damals die BBC überredet mir ganze Aufnahmewagen zur Verfügung zu stellen. Man nahm damals also simultan mit zwei Geräten auf und brachte das dann zusammen, um diese Technik rauszukriegen. Aber es war noch nicht möglich mit einem Aufnahmegerät und einem Mikrofon durch die Welt zu wandern.

Sie verließen also London und gingen nach Berlin…

Ich habe den SFB noch in London überredet, eine allererste Stereo-Produktion zu wagen: über Hühner. Mein Chef aus Berlin schrieb: „Hühner stereo aufzunehmen ist nichts weiter als gackern rechts und gackern links.“ Es war nicht die geringste Einsicht da, was für ein Potential diese Technik hat und haben würde. Es fand eine Versammlung statt, mit Krüger-Krüger, sowie allen Autoren vom Hörspiel und dem Feature. Alle meckerten, das Ganze bringe doch gar nichts. Ich ging dann raus für meine Hühnerproduktion und kriegte den SFB dazu, mir ihren besten Toningenieur zur Verfügung zu stellen. Also dieser technische Oberkönner und der kleine Braun. Ich war 20 Jahre freier Mitarbeiter. Wir hatten ein Aufnahmegerät von Grundig, was man in jedem Geschäft kaufen konnte, und wir hatten eine Verlängerungsschnur von 100 Metern. Wir brauchten eine Steckdose. Wir waren nicht mobil. Ich spreche hier nicht von den 20iger Jahren, sondern von Ende der 60iger, Anfang der 70iger Jahre.

Wir nahmen also mit unseren 100 Metern Verlängerungsschnur auf. Man steht nicht mehr an einer Stelle und hält jemanden ein Mikrofon hin, sondern man kann sich wie eine Filmkamera irgendwo im Raum bewegen. Man nimmt viel mehr auf ohne vorher zu wissen, was man damit macht. Ich weiß noch, dass ich nach ungefähr zehn Monaten mit der Produktion fertig war. Es war nicht nur eine neue Technik zu verstehen und zu handhaben, es war auch ein völlig unbekanntes Thema in Deutschland: die Massenfabrikation von Hühnerfleisch und von Eiern. Ein Huhn war nicht mehr wirklich ein lebendes Wesen, sondern es wurde hergestellt wie ein Schraubenzieher. Tolles Thema dachten alle: was hat sich der Braun für eine öde Thematik unter den Nagel gerissen. Das war aber eine Revolution im Hörfunk. Ich konnte mit der Stereotechnik eine Wucht erzeugen, durch die Differenziertheit der Aufnahmen. Ich konnte meine Hörer in die Szene einbeziehen. Das konnte man vorher niemals erreichen. Man hat nur etwas angehört, war fasziniert oder nicht, aber man wurde nie Teil davon.

Mussten Autoren dadurch anders schreiben lernen?

Wenn man schreibt, dann ringt man mit Worten: das musste jetzt aufhören. Das reicht nicht mehr. Man muss nicht den ersten Satz schreiben und daraus wächst dann alles, sondern einen Ton schreiben, ein Klanggefühl. Das war irrsinnig schwer für mich. Früher war der Ton nichts weiter als eine Illustration. Man hatte eine Wortsendung und von Zeit zu Zeit kam ein Ton, vielleicht ein Türklopfen oder ein anderes Geräusch. Jetzt war man plötzlich mehr Komponist als Autor. Wir haben dann den Ton in Feature-Produktionen immer mehr ausgeweitet. Jetzt wurde der Ton, gleichbedeutend mit dem Wort, zum zweiten Hauptdarsteller, bis wir eines Tages auf dem Gipfel anlangten: beim akustischen Film. Kein Wort mehr von einem Schauspieler, das vorher von einem Autor geschrieben wurde. Nur noch O-Töne. Das Ganze komponiert von vorne bis hinten. Toll, das ging, das funktionierte.

Erinnern Sie sich an erste Feature-Produktionen ohne Erzählpassagen?

Da fällt mir sofort die berühmte Produktion im SFB ein: 8:15 Uhr, Operationssaal 3, Hüftplastik. Der Toningenieur und ich kriegten mit großen Schwierigkeiten die Erlaubnis, im Krankenhaus während einer Operation Tonaufnahmen zu machen. Eine große Operation war damals eine künstliche Hüfte einzusetzen. Diese war schwierig und wurde nur alle zwei Wochen ausgeführt. Wir haben drei oder vier Operationen in einem bestimmten Zeitraum aufgenommen. Das Schwierigste für uns war: Wo kommt das Mikrofon hin? Man konnte es ja nicht oberhalb der Operierenden platzieren. Wir sind waagerecht mit einem Arm, parallel zum Körper in die Nähe des Produktionsfeldes gegangen, um alle, die im Halbkreis um das Mikrofon herumstanden und sprachen, aufnehmen zu können. Da eine solche Operation ein dramatischer Vorgang ist, mit unglaublich komplizierten Problemen und jeder spricht vor sich hin: Was machen wir jetzt? Es blutet! Klemm das ab!“ Und so weiter und alles, alles kriegst du aufs Mikrofon. Toll!

Wie kann man den Anblick ertragen?

Das ist nicht leicht. Meine Schwierigkeit war nicht, dabei umzukippen. Also da musste der Oberhalsschenkelknochen durchgetrennt werden. Schlimm war nicht das wahnsinnige Geräusch, sondern der Geruch. Da ist ja Mark drin, das riecht nach Bouillon. Mein Toningenieur wurde völlig grün als der Oberschenkel abgesägt wurde. Ich hatte Angst, dass der mir die ganze Produktion versaut. Aber wir haben es geschafft und mussten diese große Produktion von einer Stunde aus drei Elementen zusammenfügen. Also das erste Element waren die Operateure.

Die zweite Ebene war die Patientin. Ich hatte kurz vor der Operation eine wunderbare alte Dame gefunden, eine Berlinerin, eine geborene Erzählerin. Frau Noack erzählte über die Schmerzen in der Nacht, sprach über das Gefühl, das man sich kaum nach rechts oder links drehen konnte, wie sich die Krankheit immer weiter entwickelte, dann ging sie nur noch mit Stock, später mit Krücken, bis sie bereit war für die Operation. Ich bin immer mit einem Piccolo zu ihr gegangen, saß an der Bettkante, und sie hat mir dann ihre ganze Geschichte erzählt. Grandios. Am Schluss, nachdem sie erzählt hat, wie sie fast genussvoll jeden Tag ein paar Schritte mehr schafft, da träumt sie: Dass sie die Treppe runterrennt, wie sie immer zwei und drei und vier Schritte nimmt - und das ist so schön und so hoffnungsvoll.

Die dritte Ebene ist das Tonprotokoll der Ärzte. Während der OP geht ein Operateur kurz raus und protokolliert den Verlauf der Operation. Er spricht in ein uraltes, schon tausendfach benutztes Tonprotokollgerät mit einer entsetzlichen Qualität. Das war aber sehr gut, weil es sich abhob und so konnten wir jetzt diese ganze komplizierte Operation erzählen mit diesen drei Elementen. Und ohne dass irgendjemand dazu kommt und sagt, jetzt passiert dies oder jenes und jetzt wollen wir mal hören, was der Herr Professor dazu meint – es war wie ein akustischer Film, ein Meisterwerk. Wir waren alle sehr beeindruckt. Übrigens konnte ich im Sender durchsetzen, dass sämtliche Ärzte und Frau Noack ein kleines Honorar bekamen. Das Feature ist bestimmt 30 Mal gelaufen und jedes Mal kriegten sie ein Wiederholungshonorar.

Einige Wochen nach der Sendung rief mich der Oberarzt an und erzählte, dass sich nach der SFB-Ausstrahlung so viel alte Damen im Krankenhaus gemeldet hätten, die alle gerne an der Hüfte operiert werden wollten. Er bat mich dann, doch bitte bei Wiederholungen das Datum mit ihm abzusprechen. Das haben wir auch getan.

Dann wurden Sie Redakteur?

Ich war ja viel mehr, ich wurde Abteilungsleiter. Da stellte sich dann für mich heraus, dass bei meinen Autoren so viele überhaupt gar keine Neigung hatten, das Mikrofon als Arbeitsmittel zu benutzen. Ich nehme mal ein berühmtes Beispiel. Horst Krüger war in den 60er, 70er, 80er Jahren der führende Reiseliterat in der Bundesrepublik. Dem habe ich alle unsere großen Produktionen vorgespielt, das hatte aber keinerlei Einfluss auf ihn. Horst Krüger ging auf eine Reise und was er dort sah, setzte er in sich selbst um und spukte es irgendwann wieder aus: In einem unmöglichen Manuskript von ungefähr 36, 37 Seiten Länge, eng getippt. In einer Stunde kann man bestenfalls 32 Seiten unterbringen. Und dann sprach er dieses Manuskript auch noch selbst und er war ein schlechter Sprecher. Horst Krüger las rasend schnell, sodass der Regisseur eigentlich keine weitere Funktion hatte als ihn dauernd zu bremsen. Das Publikum liebte aber diese Sendungen. Bei meinen ausgefuchsten Produktionen waren wir glücklich, wenn wir 30, 40 Hörerbriefe kriegten. Wenn Horst Krüger eine Produktion in seinem Eilzugtempo las, meldeten sich mindestens 300 Leute.

Da habe ich begriffen, dass man Menschen nicht unnötig verändern, sondern entwickeln lassen muss. So habe ich dann das Konzept dieser Berliner Feature Abteilung im SFB wie einen Komposthaufen betrieben. Ich sage jetzt nicht zu dem Autor, also machen sie mal was über Arbeitslosigkeit, wenn ich genau weiß, der hat dafür überhaupt kein Interesse. Sondern, wenn der Autor erzählt, dass er eine neue Freundin aus Russland hat, dann gebe ich ihm zu diesem Themengebiet einen Auftrag und weiß dann, da kommt ein prima Feature raus. Der Autor muss zu einem Thema passen und umgekehrt, das zu sehen, das bringt den Erfolg. Wir kriegten also sehr viele Preise. Als ich in Pension ging waren es 170 Auszeichnungen für die SFB Feature Abteilung und bis heute dürfte diese Abteilung etwa 300 Preise bekommen haben.

Wenn ich jetzt hier zu Ihnen spreche, spreche ich in Identität mit meiner Person, mit meiner Persönlichkeit, ich verstelle mich nicht. Wenn die Person authentisch rüberkommt, von Du zu Du spricht, dann haben sie das Radio da, wo es hin soll. Dann funktioniert es. Ich habe immer propagiert: Wo bleibt derjenige, der endlich das Lifefeature macht? Also nicht mehr lange aufnehmen, nicht mehr lange schreiben, sondern in dieser Palette von Talenten muss es doch einen geben, der gut genug ist Folgendes zu tun: Der bereitet ein, zwei Interviews vor, die hat er auf Band. Er ist in der Lage, zu der Thematik, in die er sich eingearbeitet hat, völlig frei zu sprechen. Dann lässt er die Elemente vor dem Mikrofon geschehen.

Sind Sie einmal mit einem Feature gescheitert?

Ich bin zwei oder drei Mal in meinem Leben von einer Thematik verführt worden und immer wenn ich verführt wurde, worden bin, bin ich gescheitert. Das letzte Mal in Zusammenarbeit mit dem kanadischen Rundfunk. Ich war also im Feature ein anerkannter Mann, nicht nur in Deutschland. Ich schlug dem kanadischen Rundfunk vor, etwas über „Holz“ zu machen. Sie wollten aber, dass ich etwas über Öl machen solle und so kam es dann. Ich bin damals mit Dieter Grossmann nach Kanada geflogen, zwei Superprofis, für unsere Ausrüstung brauchten wir einen Amischlitten. Ich glaube, wir hatten acht Kisten dabei. Verschiedenste Mikrofone, die neuste Nagra- Installation und zwar noch mit einem Arm zum Ausklinken. Wie nimmt man Ölbohrungen, die Ölpumpen, die Ölrohre auf? Wir haben den sogenannten Brustverschluss erfunden, da haben wir zwei Klosettsauger genommen, haben die Holzstiele rausgenommen und statt dessen Mikrofone reingemacht durch die Öffnungen…Superaufnahmen. Ich glaube, wir hatten 170 Stunden aufgenommen. Als wir nach Deutschland zurückkamen habe ich mich entschieden, die Sendung nicht zu machen. Das ist ein stummes Ding, dieses Öl da unten und wo immer man daran rumpopelt, bleibt es unfruchtbar. Ich habe dann dem kanadischen Rundfunk geschrieben, dass ich keine Lust mehr zur Sendung habe und ihnen das gesamte Geld zurückgezahlt, was ich bisher ausgegeben hatte. Also das sind solche Geschichten, wo man also besser die Finger von lassen sollte. Der Autor muss sein Thema in Identität mit sich selbst wählen. Er muss ER SELBST dabei bleiben.

Ein anderes Mail bin ich von Bayreuth verführt worden. Ich hatte einen Freund, der ein großer Opernfan und Opernspezialist war. Er wollte, dass ich mit ihm nach Bayreuth fahre. Ich selbst bin allerdings völlig unmusikalisch. Trotzdem bin ich zu meinem Chef gegangen und habe ihm Bayreuth eingeredet, damit er mir die Reise und die Eintrittskarte bezahlt, dafür mache ich ihm dann ein Feature. Ich hatte aber keinerlei Zugang zu dieser merkwürdigen Welt von Wagner und Tristan und Isolde und ich blieb ein Fremder in Bayreuth - und hatte jetzt aber das Thema an der Backe.

Haben Sie das Feature trotzdem abgeliefert?

Bevor ich nach Bayreuth fuhr hatte ich ein Sparguthaben von etwa 10.000 DM. Das war eine ganze Menge für einen Autor und dazu hatte ich auch noch einige Aktien von Volkswagen. Damit konnte ich mich etwa ein Jahr finanziell über Wasser halten. Als ich dieses Thema endlich abgab, hatte ich 10.000 DM an Schulden. Ich habe viel Zeit dort verbracht, das zweite Mal bin ich gleich für mehrere Monate nach Bayreuth gegangen. Zwischenzeitlich war ich völlig fertig, zweifelte an meiner Eignung für diesen Beruf. Irgendwann habe ich endlich nach langer Leidenszeit den Zugang zu der Thematik gefunden. Schrieb das „Tagebuch eines Unmusikalischen“. Jemand der draußen bleibt. Jetzt konnte ich plötzlich diese ganzen Phänomene schildern, witzig, von draußen. Das hat funktioniert. Diese erfolgreiche Sendung wurde damals von einem Star des Berliner Theaters, von Rolf Häninger, gesprochen. Der große Mann in Bayreuth, Wieland Wagner, schrieb mir dann, die Sendung habe ihm so gut gefallen, dass er sich erbittet, sie im Programmheft komplett abdrucken zu dürfen. Das war für mich wie ein Ritterschlag.

Was sagen Sie zu der Entwicklung, dass immer häufiger Feature Autoren selbst Regie führen?

Das ist unabwendbar, unablässig. Bitte mir zu verzeihen, ich fange wieder bei mir selbst an. In meinen ganz frühen Arbeiten war ich noch nicht mal im Studio zugelassen. Es gibt heute noch Häuser in der ARD, wo der Autor im Produktionsstudio nichts zu suchen hat. Er gibt sein Manuskript dem Regisseur und kann beten, dass was Ordentliches dabei herauskommt. Meine Arbeiten dauerten immer sehr lange, brachten eine Menge Geld, aber wenn ein Projekt gescheitert wäre, hätte ich ein halbes Jahr keine Mittel mehr gehabt. Es musste gelingen. Ich habe mir damals zu helfen versucht, indem ich den Regisseuren immer kleine Geschenke gemacht habe. Oder ich habe versucht sie in einen Zustand der Faszination zu bringen…

Später als Abteilungsleiter hab ich selbst inszeniert, aber ich muss gestehen, dass ich mich bei meinen eigenen Arbeiten zunächst nicht getraut habe. Da war mir das Risiko zu hoch, dass ich es nicht kann. Ich habe erst mal bei anderen versucht und als ich dann sicher war, dass ich es kann, habe ich auch meine eigenen Sachen inszeniert. Als ich Abteilungsleiter war, durfte jeder Autor, der es konnte, Regie führen. Aber man muss es nicht können. Trotzdem finde ich es eigentlich richtig, wenn der Autor seine eigene Sache bis zur Sendung begleitet. Sehen Sie mal, es ist ja auch ein geradezu weltweites Phänomen, der Autorregisseur. Wie Sie wissen bin ich ja auch der Radiochef vom Prix Europa und höre mir nun einmal im Jahr die europäischen Produktionen an. Die Arbeiten sind immer dann am besten, wenn der sogenannte Erzähler wegbleibt und das Ganze vom Autor selbst gesprochen wird. Kann der Autor oder die Autorin das und bearbeitet auch die O-Töne selbst, dann hat das meist einen viel höheren Reichtum an Authentizität. Man hört ganz anders zu.

Im englischen Radio, der BBC, hat das Feature viele Sendeplätze. Wir erleben stattdessen seit Jahren, dass die ARD Sendeplätze abbaut. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?

Erst einmal: So lange das Feature existiert, hatte es nie die Gunst der Stunde. Immer wehte diesem Genre der Wind ins Gesicht, auch weil es durch seinen vagen Charakter schwer fassbar ist. Ein Feature ist im Grunde alles. Das kann eine lange Reportage sein, ein gut gebauter Dokumentarbericht, kann fiktive Elemente nutzen, Dialoge einbeziehen, Musik einspielen. Im Grunde kann man sagen, das Feature ist in Identität mit dem Medium Radio. Alle machen Feature, meistens nur die schlichtesten Formen, aber ganz selten hat es das Feature zu einem eigenen Fachbereich, zu einer eigenen Abteilung oder sogar zu einer eigenen Domäne gebracht. Wir hatten mindestens zehn Jahre in Dänemark tolle Feature, keiner kam da ran. Norwegen war großartig. Frankreich hatte eine Zeit, auch Zagreb.

Im Kern hängt es aber immer an wenigen Menschen. Das macht aber die Möglichkeiten dieser Funkform, dieser Sendeform nicht kleiner. Ich denke an Österreich, das erfolgreichste Kulturprogramm Europas ist Ö1, Österreich 1. Mit einer Einschaltquote von Landes weit neun Prozent und in Wien über zwölf Prozent. Das heißt, wenn man es richtig macht, wenn man etablierte Sendeplätze hat und die Hörer nicht dauernd mit einer Reform quält, wenn man den Hörern gestattet, sich auf eine Sendeform zu beziehen, dann geht die auch nicht kaputt. Dann bleibt sie stark und vibrierend. Wenn wir jetzt in Zahlen reden: In der BBC, würde ich mal schätzen, werden wöchentlich zwischen 30 bis 40 Feature gesendet, lange Formate, kurze Formate, nicht immer Meisterwerke. In Radio France Culture schätze ich, dass täglich ein Feature veröffentlicht wird, wenn nicht sogar mehr. Wenn Sie alle deutschen Produktionen zusammen nehmen, dann kommen auch in der ARD viele Produktionen zusammen. Allerdings werden weiterhin Sendeplätze abgebaut werden. Irgendwann werden die finanziellen Mittel nur noch für vier Sendeanstalten reichen - eine ARD-Anstalt im Norden, im Süden, im Westen, im Osten. Ich will nicht grausam sein, aber eine Feature Produktion ist teuer. Man würde dem Feature einen Gefallen tun, wenn man mehr Schwerpunkte setzen würde. Nun, Sie wollten den birds view, also den Blick von ganz oben, hören. Ja?

Nein, ich wollte Ihre Einschätzung zum Abbau der Sendeplätze hören. Aber wenn Sie von oben blicken möchten. Bitte…

Es gibt einmal im Jahr eine internationale Feature-Konferenz, wo aus der ganzen Welt Feature-Menschen hingehen und sich ihre Arbeiten vorspielen. Als ich die Feature-Konferenz 1974 gründete waren wir 14 Leute am Tisch: Einer aus den USA, einer aus Kanada, der Rest aus Europa. Bei der letzten Konferenz in Finnland waren es über 100 Leute. Und ich, der diese Konferenz 22 Mal organisiert habe und jeden Feature-Menschen kenne, bin in jedem Jahr überrascht, dass neuerdings die Hälfte davon neu sind und ich sie nicht kenne. Das zeigt, wie stark dieses Fach ist. Wie groß das Interesse ist. Ein Manko für junge Autoren ist sicher, dass es nicht genügend Möglichkeiten, Sendeplätze gibt, sich zu entwickeln. Das ist sicher ein Hindernis. Aber: There is an old english saying, it sais, there is always room at the top. Wenn Du gut bist, herausragend bist, findest du deinen Weg.

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