bremer hörkino

Radio-Geschichten live erleben

Thorsten Jantschek

Do, 04.08.2011

Das Essay zum Hören

Gespräch mit Radio-Bremen-Redakteur Thorsten Jantschek

Lieber ehrlich und „dreckig“ statt auf Hochglanz produziert – so liebt Thorsten Jantschek das Radio-Feature. Der Radio-Bremen-Redakteur für “Wissenschaft, Religion und Gesellschaft“ pflegt eine neue kleine Feature-Form – das Essay zum Hören.

Das vollständige Interview zum Anhören:

(Dauer 24:25)

Das Feature auf RB ist von vier auf zwei „eingedampft“ worden. In Ihrer Sendung „Glauben und Wissen“ – sonntags von 11 bis 13 Uhr - finden auch kleinere Formen, kürzere Stücke Platz. Ist das eine Notlösung?

Jantschek: Nein. Wir haben ja schon länger die kleinere Form in der Sendung. Ich habe sie mitgebracht aus anderen Rundfunk-Anstalten. Ich wollte den Rundfunkessay, den es bei RB 2 früher gab, wiederbeleben und habe eine Mischform gebildet. In einer monothematischen Sendung – das Konzept von „Glauben und Wissen“ – betrachten wir ein Thema kaleidoskopartig von allen Seiten. Je nachdem an welchem Rädchen man dreht, erscheint die Welt ganz anders.

Was ist denn eine kleine Form – 8 bis 30 Minuten und alles dazwischen?

Ja. Alles dazwischen, alle Formen, alle Genres. Ich habe versucht, eine bestimmte Richtung zu entwickeln: den vertonten Essay, eine Form bei der der Autor im Vordergrund steht, sein geistreiches Nachdenken über ein Thema. Er spricht auch selbst, es darf auch schnell und dreckig sei. Das heißt, es darf auch einfach produziert sein. Ich habe es gern, wenn Autoren aus der Ich-Perspektive erzählen. Zum Beispiel die Frage „Soll ich bei Facebook Mitglied werden?“. Wenn Sie dafür keine Experten suchen, sondern Menschen in der eigenen Umgebung fragen, den Bruder, die Freundin…

Das hört sich so an, als könnten wir auf Wissenschaftler und Experten-O-Töne verzichten?

Nein auf keinen Fall. Es gibt nur unterschiedliche Dosierungen. Bei einer monothematischen Sendung kann man Experten zusätzlich befragen. Mein Eindruck ist, dass Hörer dem subjektiven Blick mehr folgen als dem Expertengespräch. Man begibt sich sehr in die Sichtweise des Autors hinein. Ideal wäre, wenn ein Hörer sagt, genau die Frage habe ich mir auch immer gestellt. Jetzt bin ich mal gespannt, wie etwa die Autorin Astrid Mayerle das Problem löst.

Also hineinkriechen in eine andere Denke? Hin zum Biografischen?

Wir wollen eine Mischung aus Subjektivem und Objektivem. Wir erzählen keine fiktiven Geschichten, sondern wollen in die Realität hineintauchen. Die amerikanische Essayzeitschrift n+1 hat da Maßstäbe gesetzt. Aus dem Kreis der Zeitschrift ist ein Buch von David Shields erschienen - „Reality Hunger“ – das meint den Hunger nach Realität, der aus der Fiktion kommt. Im Radio würde man sagen: aus dem Hörspiel kommt ein Hunger nach Realität ins Spiel, wie ja auch umgekehrt viel Dokumentarisches ins Hörspiel einfließt.

Die Lust am Subjektiven wird ja in TV-Formaten bespielt, in denen Menschen das Innerste nach außen kehren…

Wobei das in unserem Fall viel kunstvoller ist. Das TV gaukelt uns gestellte Situationen als echt vor. Wir suchen echte Situationen – nennen das Gesprächsreportagen. Da geht dann ein Reporter oder der Moderator los und trifft jemand an einem Ort, mit der ganzen Hintergrundatmosphäre. In der gebauten Reportage dagegen, wie wir sie in der Sendung hatten – in der zum Beispiel ein Spielzeugladen, der aufgegeben wird, drei Wochen begleitet wird - da schnurrt alles auf eine Stunde zusammen. Anders die Gesprächsreportage: Sie findet an einem Ort statt, der Autor unterhält sich, erlebt etwas, begleitet Jemanden 15 Minuten lang. Das ist reale Zeit oder auch eine kunstvolle Nacherzählung einer Frage, etwa wie „Soll ich meine Leistung steigern mit Ritalin, um mich besser konzentrieren zu können?“ Die Autorin erzählt, was ihr durch den Kopf geht und was ihr Hausarzt dazu sagt. Natürlich kriegt sie den zum brisanten Thema nicht vors Mikrofon - dann erzählt sie es eben selbst. Und mittlerweile glauben wir ihr, und das ist das Entscheidende.

Wie geht es Ihnen selbst: Hören sie lieber ein gut gebautes Feature oder die kürzere, ehrliche Variante? Oder wie Sie sagen, die „dreckige“ Variante, weil sie nicht so künstlerisch produziert ist.

Ich höre beides. Bei manchen Produktionen wird mir zu viel draufgesattelt. Manche Stücke kommen mir überproduziert vor. Da wird die Geschichte eines Schriftstellers aus den USA, der sich umgebracht hat, als Roadmovie inszeniert, und ich verstehe schon die O-Töne gar nicht. Das sind sehr toll gebaute Sachen, unendlich fein produziert, mit unendlich vielen Schnittstunden. Allein - ein direkter Zugang, ein ehrliches Wort, sind mir lieber. Manchmal habe ich es gern einfach.

Wir erleben im Hörkino, dass die Stücke, die sehr biografisch- ehrliche O-Töne haben, bei den Hörern gut ankommen.

Dass darf man ja eigentlich gar nicht offen sagen: Wir haben den Deutschen Radiopreis bekommen für eine Sendung, die wir verglichen mit dem üblichen Aufwand in einer „Hinterhofwerkstatt“ gemacht haben. Ohne ganz große Technik, ohne großen Aufwand. Wenn Sie das vergleichen mit einer großen Produktion beim WDR, die mit vielen Sprechern aufgenommen werden, im schalltoten Raum, kunstvoll gemischt - davon sind wir bei diesem Stück meilenweit entfernt. Hans Dietrich Genscher hat bei der Laudatio trotzdem gesagt, es sei eine Sinfonie aus Tönen.

Es geht um „Die letzte Fahrt ins Spielzeugland“ von Jens Schellhass – die Geschichte um den Spielzeugladen in Bremen, der seine Türen zumacht. Das Stück hören wir im Dezember-Hörkino.

Passt zum Dezember, eine vorweihnachtliche Geschichte.

Im September gibt es im Hörkino „Der wilde Mann Eine NS-Raubkunst-Geschichte“ zur Neueröffnung der Bremer Kunsthalle. Wäre das ein Stück gewesen, das man auch in 30 Minuten hätte erzählen können?

Hätte man machen können. Die Geschichte dieses Bilderbesitzers, der sich auf die Suche nach einem Bild seiner Kindheit gemacht hat und der es für seine Mutter wiederbeschafft.

Für seine jüdische Familie…

…und der Sohn lebt jetzt in London. Silke Hennig hat mir von dieser Geschichte erzählt. Ich habe gesagt, das ist ja hinreißend. Ich wollte, dass nur die Geschichte der Suche erzählt wird. Aber dann mussten wir doch die ganzen Umstände um den Rechtsstreit erzählen. Die Autorin hat es selbst produziert in Berlin. Ich habe mit ihr daran gearbeitet, aber es war am Ende ihr Stück. Ich werde nie versuchen, Autoren-Stücke umzubiegen. Ich lasse sehr viel Freiheit.

Und bei Ihnen hat der subjektive Blick eine große Chance!

Je eigenwilliger die Sichtweise, desto lieber ist es mir. Ich brauche Leute um mich, die nicht nur ein Standbein, sondern auch ein Spielbein haben.

Das macht ja auch Mut, dass auch das einstündige Feature nicht ganz ausstirbt bei RB.

Klar, das große Stück wird immer seinen Platz finden. Das Problem sind die Etats, die bei uns denkbar gering sind. Das Einzige, das ich meinen Autoren anbieten kann ist, dass die Stücke von anderen Sendern übernommen werden. Die kleinen Formen werden gerne übernommen. Und wir wiederholen das Stück. In einem anderen Kontext leuchten die Stücke ganz anders. Zum Beispiel in einer Sendung über Schönheit oder über digitale Welten, da können Sie das Facebook Stück nochmal machen. Das ist wie mit einem Blumenbouquet, da kann ein „vertrocknetes“ Blümchen ganz romantisch wirken.

Romantisch geht es bei uns im Hörkino auch manchmal zu, je nach Thema. Dort erleben wir, dass eine Stunde sehr kurzweilig ist. Das ist eine ganz besondere Atmosphäre.

Die hat man zuhause nicht!

Wie sehen sie von RB auf das Hörkino? Auf so ein Format hätten Sie auch selbst kommen können?

Hätten wir auch! (lacht). Wir sind so wenig Leute, da ist jede nicht On-Air- Präsentation schwierig. Wir müssen On Air die geeigneten Orte zu finden. Wenn wir das Feature Sonntagsmorgens zwischen 9 und 10 senden, ist das eine gute Zeit, wenn man noch im Bett liegt, oder gerade erst aufsteht. Während meiner Sendung „Glauben und Wissen“ - zwischen 11 und 13 Uhr - da sind die Leute schon unterwegs.

Und deswegen finden wir es gut, dass sie die Stundenstücke im Hörkino einen speziellen Platz finden.

Eine großartige Reihe!

Und ansonsten freuen wir uns auf ihre subjektiven Autoren-Stücke, die allerdings fürs Hörkino zu kurz sind.

Nimm einfach zwei davon!


Zum Anhören:

Das Essay zum Hören - empfohlen von Torsten Jantschek: „Von Eulen und Lerchen“, von Astrid Mayerle
Dauer: 24:30

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