bremer hörkino

Radio-Geschichten live erleben

Renate Jurzik

Di, 06.12.2011

Wir brauchen I-Töne

Der ganz persönliche Blick von Autoren, die individuelle Handschrift machen ein Feature zu etwas Besonderem, sagt Renate Jurzik. Die Leiterin der Feature- und Hörspielredaktion des rbb erzählt auch, warum sie immer noch neugierig auf Geschichten ist…

Was finden Sie am Feature schön?

Das Radio-Feature ist ein Genre, das eine ganz große Freiheit zulässt. Und diese Freiheit in der Themenwahl, der Erzählstrategie und der akustischen Gestaltung macht den Reiz beim Feature aus. Feature-Machen beginnt nicht mit einem unbeschriebenen Blatt, sondern mit einem unbespielten Band, oder einem unbespielten Chip. Feature-Machen ist vom ersten Moment an Radio, es ist Radio in all seinen Möglichkeiten und es ist alles erlaubt außer schlechten Tönen.

Wird zunehmend Wert auf die künstlerische Gestaltung gelegt – auf Kosten der Inhalte?

Nein, die Inhalte, das Interesse an einem Stoff, die Neugier des Autors, unsere Neugier als Redakteure stehen ja am Anfang eines jeden Featureprojekts, dann beginnt die Recherche und dann stellt sich erst wirklich die Frage der Gestaltung. Auch wenn die Autoren schon vor der Recherche eine Vorstellung von der möglichen Gestaltung haben, letztlich entscheidet sich die Gestaltung immer erst an der Materiallage, wenn die O-Töne da sind. Das Spielerische macht das Vergnügen aus, aber es ist kein Selbstzweck. Bei jedem Feature geht es auch darum, dass es Erkenntnisgewinn bringt, dass man etwas Neues erfährt - Gedanken, Zusammenhänge, Hintergründe, Erfahrungen jenseits des eigenen Horizonts. Sicher steht in den Diskussionen unter Feature-Machern die Form meist im Vordergrund, aber wenn wir Features öffentlich vorführen, entzünden sich die Fragen des Publikums in erster Linie am Inhalt. Für das Vergnügen am Hören spielt allerdings die Gestaltung die größere Rolle.

Vor kurzem sagte mir ein Autor, der über 40 ist, dass er als junger Autor gilt. Welche Möglichkeiten bietet der rbb für Autoren unter 40?

Dass auch ein 40jähriger noch als jüngerer Autor gilt, finde ich nicht abwegig. Ich denke, das ist in allen künstlerischen Gattungen so. Um eine eigene Handschrift zu entwickeln, braucht es Erfahrung. Feature dient ja nicht nur der Information, es ist Journalismus und mehr: Journalismus mit künstlerischem Mehrwert, wie einige sagen, oder mit akustischem Mehrwert. Junge Autoren, die frisch aus der Journalistenschule kommen, sind noch keine Feature-Macher. Auch wenn es viele Medienstudiengänge gibt, die eigentlichen Schulen für Feature-Autoren sind die Redaktionen, die Workshops der ARD-Medienakademie, die Praktika in den Redaktionen der Funkhäuser, die Assistenz bei Featureproduktionen. Feature lernt man, indem man sich an einem Projekt versucht und dabei betreut wird, von einem Redakteur oder einem erfahrenen Autor oder Regisseur. Oder man bewirbt sich für die Masterschool der EBU, die junge Featuretalente coacht, die sich mit einem eigenen Projekt bewerben. Wir geben jungen Leuten die Chance, uns sehr genau bei der Arbeit in der Redaktion und im Studio zuzusehen, Manuskripte zu lesen, sich einzubringen in den dramaturgischen Prozess oder im Studio die Genauigkeit des Produzierens kennenzulernen. Natürlich fördern wir junge Leute, die Talent haben. Der eine interessiert sich mehr für den Produktionsprozess und möchte Regieassistent werden, der andere schlägt uns ein erstes Projekt vor. Wir haben Serien von 5-Minuten-Hörstücken in unserem Programm. Das ist eine Möglichkeit für jüngere Autoren, sich auszuprobieren..

In fünf Minuten muss man schneller zur Sache kommen. Springt ein jüngeres Publikum eher darauf an?

Nein, das glaube ich nicht. Eine Studie hat kürzlich ergeben, dass sich jüngere Leute im Netz eher die langen Radioformen anhören, Hörspiele und Features. Aber es ist ein Problem, dass die Radioprogramme für jüngere Hörer, bei uns Fritz und radioeins, keine langen Features oder Hörspiele senden, geschweige denn produzieren. Feature laufen in der Regel auf den Kulturprogrammen, deren Hörer einen Altersdurchschnitt zwischen 50 und 60 Jahren aufweisen. Viele jüngere Hörer wissen gar nicht, dass es so etwas wie das Radio-Feature überhaupt gibt. Die Hoffnung, dass sich das ändert, ist das Internet. Endlich sind auch in Deutschland Vereinbarungen mit der GVL (Gesellschaft für die Leistungsschutzberechtigten) getroffen worden, die es möglich machen, unsere neuen Featureproduktionen ins Netz zu stellen. Das ist die Chance für jüngere Hörer unabhängig von dem Programm, das sie bevorzugt hören und unabhängig von den Zeiten, in denen sie ausgestrahlt werden, unsere Features zu hören.

Auch das Publikum im Bremer Hörkino ist im Schnitt eher älter. Hören Jüngere anders als ältere?

Das glaube ich schon. Im Sommer fand in Potsdam das OH-Ton Festival statt, ein Feature-Festival, das von jungen Organisatoren veranstaltet wird und von jungen Hörern besucht wird. Im Festivalprogramm waren eher Stücke zu hören, die von der Machart her unkonventionell waren, wo es nicht so sehr um die Brisanz eines Themas ging, sondern um das Spielerische des Mediums, das Spielen mit Material, mit O-Tönen. Es gab dort viele persönliche Geschichten zu hören, aber auch ein so brisantes Feature wie „Überleben ist das alles?“ Oder: „Some like it in Sarajevo“ über den Krieg in Jugoslawien kam dort sehr gut an.

Kann das in Potsdam nicht zufällig so gewesen sein?

Heute kann jeder, der die entsprechende Hard-und Software besitzt, zuhause verschiedene Radioformen ausprobieren. Hochwertige Aufnahmegeräte sind nicht mehr so teuer. Also, wer eine gewisse Leidenschaft und Lust am Rumexperimentieren mitbringt, kann da zuhause schon was Schönes produzieren. Das ist sicher ein großer Reiz für jüngere Autoren, auszuprobieren, was die Technik eben so hergibt. Daraus kann sich eine Vorliebe für spielerische Radioformen entwickeln – aus der Lust am Selbermachen. Aber natürlich möchten die jungen Leute auch gesendet werden und da spielen dann Qualitätsmaßstäbe eine Rolle.

Braucht die Autorin oder der Autor die Zusammenarbeit mit dem Sender. Entsteht dadurch mehr Qualität?

Das würde ich ganz entschieden behaupten. Dramaturgie, Tonmischung, Schnitt, das sind ja alles Kompetenzen, die in einer längeren Ausbildung erworben wurden. Das Zusammenspiel all dieser Spezialfertigkeiten garantiert eine Qualität, die sich nicht so leicht zuhause erreichen lässt. Die Beschränkung der Produktionszeit im Studio stellt eine ganz eigene Atmosphäre der Konzentration her. Eine andere Konzentration als man sie beim Rumprobieren am eigenen Computer braucht. Ich glaube, die Autoren tun sich keinen Gefallen, wenn sie auf die sich potenzierende Kompetenz eines Teams verzichten, ganz abgesehen davon, dass Teamarbeit Lust macht: Kreativität, Austausch. Autorenproduktionen, die den Standards der Produktionen in den Radioanstalten entsprechen, sind die Ausnahme. Es gibt ein paar Autoren, die das können. Aber zuhause am Computer zu arbeiten, ist auch ein einsamer Job und manchmal fehlt dann die Distanz. Um ein Projekt zu durchdenken, ist ein Gesprächspartner in der Redaktion schon ganz wichtig.

Radio Bremen hat sein Featureangebot halbiert, überall werden Sendeplätze abgebaut. Wie ist die Situation im rbb?

Die ist seit Jahren stabil. Für das Feature haben wir seit Jahren drei Standardsendeplätze Das sind der Sonntag, der Mittwoch und der Samstagvormittag. Und seit der Neuausrichtung des Kulturradios einen 5x5Minuten Serienplatz für Hörstücke. Dafür wurde allerdings der Samstagssendeplatz auf eine halbe Stunde gekürzt. Wichtig sind nicht nur die Sendeplätze, sondern ein Etat, der eine gewisse Zahl von Neuproduktionen garantiert und gute Produktionsbedingungen.

rbb-Produktionen werden oft mit Feature-Preisen ausgezeichnet. Helfen Ihnen die Preise bei der internen Überzeugungsarbeit?

Preise sind schon nicht schlecht. Sie zeigen ja, dass unsere Sendungen bei Fachleuten ankommen. Preise sind nicht nur für die Autoren und die Redaktion eine Bestätigung, auch der Sender kann sich damit schmücken. Sie haben also schon eine Wirkung nach innen. Außerdem ist eine Redaktion, die viele Auszeichnungen bekommt, auch für Autoren interessant. Preise haben also auch eine Außenwirkung, zum Beispiel auf junge Leute, die mit uns arbeiten wollen.

Einmal im Monat senden fast alle ARD-Sender ein gemeinsames Radio-Feature. Der mdr und der rbb beteiligen sich nicht daran. Warum?

Das ARD-Feature will dreierlei: größere Aufmerksamkeit für das Genre in den Öffentlichkeit, die Ermöglichung von aufwendigen Recherchen und Spareffekte. Wir haben seit 20 Jahren eine Featurekooperation mit dem mdr, die sehr erfolgreich ist. Und wir haben in unserem Sendegebiet eine besondere Verpflichtung an der Aufarbeitung der Geschichte der DDR, an der Reflexion der Geschichte der Vereinigung, der Entwicklung der neuen Länder. Deutsch-deutsche Geschichte und Geschichten sind zu einem guten Teil in unserem Programm vertreten. Diese Kooperation zu Gunsten des ARD Features aufzugeben, wäre nicht sinnvoll. Für uns, für die mdr- und die rbb- Feature-Redaktion wäre die Beteiligung an einem ARD-Feature nur unter der Bedingung eines zusätzlichen etatierten Sendeplatzes interessant, der aber nicht in Aussicht steht. Auch die kleineren Sender, die sich am ARD-Feature beteiligt haben, haben sich einen zusätzlichen Etat und einen zusätzlichen Sendeplatz für das ARD-Feature versprochen. Das ist leider nicht gelungen. Und so sind mit dem ARD-Feature Sendeplätze für Übernahmen und Neuproduktionen verloren gegangen.

Für uns Autoren bedeutet das ARD-Feature einen Abbau von Sendeplätzen. Doch gilt das nicht auch für die rbb/mdr Kooperation?

Also das sehe ich nicht ganz so. Das ist eine andere Geschichte. Als der mdr neu gegründet wurde, hat die Featureabteilung des SFB ganz entscheidend zum Aufbau der mdr Feature-Redaktion beigetragen, die es so sonst vielleicht nicht gegeben hätte. Die Kooperation von mdr und rbb garantiert, die Anzahl der Neuproduktionen im Programm und die Sendeplätze zu erhalten.

Koproduktionen und Übernahmen durch andere Sender werden weniger. Reisekosten und Rechercheaufwand werden gekürzt. Leidet drunter die Qualität des Features?

Für viele Themen sind Reisen unumgänglich. Wenn ich die Situation im Iran nur anhand der Iraner recherchiere, die hier in Berlin oder in Deutschland leben, dann bekomme ich natürlich ein weniger authentisches Bild. Wir haben zu Zeiten des SFB mit dem Slogan geworben „Das Feature - Die Welt im Radio“. Auch wenn wir nicht mehr mit diesem Slogan werben, wollen wir diesen Anspruch natürlich weiter erfüllen und dazu sind Reisen nötig. Man kann auch über die Region qualitätvolle Features machen, und das machen wir ja auch, aber die Attraktivität des Features, seine Weltläufigkeit würde leiden, wenn wir unseren Autoren keine Reisen mehr finanzieren würden. Um Reisen und aufwendige Recherchen zu ermöglichen, versuchen wir andere Sender als Coproduzenten zu gewinnen.

Wie wichtig ist Ihnen der persönliche Kontakt zu den von Ihnen betreuten Autorinnen und Autoren?

Sehr wichtig. Ich kenne alle Autorinnen und Autoren, mit denen ich arbeite persönlich und anders kann ich mir das auch gar nicht vorstellen. Nicht, dass man auch per Mail an einen Manuskript arbeiten könnte, aber um über das Interesse an einem Projekt zu sprechen, um den Kern, um den es bei einem Projekt gehen soll, genauer zu verabreden, oder um gemeinsame Überlegungen zu einer möglichen Erzählform anzustellen, dazu ist das persönliche Gespräch unumgänglich. Ich möchte das Interesse, das ein Autor an einem Thema hat verstehen, um an der Dramaturgie zu arbeiten. Ich will ja niemandem ein Muster verordnen, nach dem das Feature gestrickt werden soll. Damit ich die individuelle Handschrift des Autors unterstützen kann, brauche ich das persönliche Gespräch. Ich arbeite mit mehreren Autoren, die nicht in Berlin wohnen, auch mit Autorinnen und Autoren aus anderen Ländern, aber ich habe sie alle getroffen und verabrede mich bei jedem neuen Projekt persönlich mit ihnen. Mich interessiert das existentielle Interesse des Autors an seinem Stoff. Ich bin neugierig auf die Individualität. Wir brauchen nicht nur O-Töne, wir brauchen I-Töne, individuelle Handschriften.

Autoren sind empfindsam. Wie schwierig oder leicht ist für Sie der Umgang mit Ihnen?

Ich habe immer gute Erfahrungen mit Autoren gemacht. Vielleicht auch deshalb, weil ich nicht den Ehrgeiz habe, selbst Autorin zu sein. Ich trete nicht in Konkurrenz zu ihnen, dadurch kann ich großzügiger sein. Die Features sollen nicht so klingen, wie ich mir irgendetwas vorstelle. Rezepturen zu verordnen, würde mich schnell langweilen. Ich versuche eher, die Vorstellung der Autoren rauszukitzeln, die mögliche Besonderheit. Wenn man in diesem Sinn eingreift, dann sind die Autoren in der Regel auch nicht zickig, sondern eher dankbar. Es stört mich nicht, dass manche Autoren schwierig sind. Das darf man auch nicht Abtrainieren wollen. Für mich ist es eher eine Lust, damit umzugehen. Ich bin immer auch neugierig auf den Menschen, und nicht nur auf den Autor.

Jede Autorin, jeder Autor entwickelt mit der Zeit zumeist eine eigene Handschrift. Versuchen Sie manchmal den Stil oder die Handschrift zu verändern?

Die Verschiedenheit des Materials verlangt und verführt ja zu ganz verschiedenen Herangehensweisen. Es gibt nicht so viele Autoren, die wirklich einen eigenen Stil, eine eigene Handschrift entwickeln, die man in jedem ihrer Stücke wiedererkennen kann. Aber gerade wenn ein Autor es so weit gebracht hat, dass man von einem eigenen Stil sprechen kann, muss er darauf achten, dass dieser Stil nicht zur Masche wird. Sich ein Thema zu suchen, bei dem man ganz bewusst mit diesem Stil nicht weiterkommt, das wäre dann der Weg, um beweglich zu bleiben. Ich ermutige immer dazu, mal etwas Neues zu versuchen.

Sind Sie nach so langer Zeit noch neugierig auf Geschichten?

Nicht auf jedes Thema, aber auf jede gute Geschichte. Ein Thema ist nicht gleich eine Geschichte, aber wenn ein Thema sich in Form einer Geschichte erzählen lässt, dann bin ich neugierig. Oder wenn in einer kleinen Geschichte ein gesellschaftlich relevantes Thema anklingt. Wir lehnen ja auch viele Exposés ab, weil uns ein Thema nicht interessiert oder weil wir dem Autor nicht zutrauen, es interessant zu gestalten. Aber es ist immer noch so, dass ich auf weit mehr Projekte neugierig wäre, als ich – aufgrund meiner Arbeitszeit und des mir zur Verfügung stehenden Etats – realisieren kann.

Wie sieht das Feature Ihrer Meinung nach 2030 im öffentlich rechtlichen Rundfunk aus?

Oh je, in 20 Jahren! Wenn ich dran denke, was sich in den 20 Jahren verändert hat, in denen ich als Featureredakteurin arbeite: es hat sich die Technik verändert, es hat sich das Tempo verändert, das digitale Produzieren erlaubt komplexere Mischungen, aber was das Wesentliche anbelangt, das Herz des Feature-Machens, das Geschichtenerzählen, daran hat sich nicht so viel verändert. Auch wenn die technischen Möglichkeiten des Produzierens und die Verbreitungswege sich ändern werden, wird das Geschichtenerzählen ein unverändertes Bedürfnis bleiben. Radio ist ein Erzählmedium und das Feature die Königsdisziplin der Erzählung von Geschichten, die sich wirklich ereignet haben.

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